Das Leben in 38 Tagen
Pilger mit Brille, der Fotos machte.
Es stellte sich heraus, dass er Deutscher war und Gerold hieß. Wir lachten,
weil wir uns wieder zuerst in Englisch angesprochen hatten.
Zusammen
gingen wir nun auf der alten Pilgerstraße durch den idyllischen Ort. Hier gab
es eine Bar an der anderen sowie mehrere kleine Geschäfte und Privatpensionen.
Die eng aneinandergeschmiegten mittelalterlichen Fachwerkhäuser mit
blumengeschmückten Balkons links und rechts der schmalen Straße strahlten eine
beschauliche Ruhe aus. Gern wäre ich hier irgendwo eingekehrt, um das besondere
Flair des Ortes wirken zu lassen, aber zunächst wollten wir erst einmal die
Herberge finden. Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte, denn die
Herberge lag noch etwa einen Kilometer hinter Molinaseca in einer ehemaligen
Einsiedelei.
Nun
konnte ich wirklich kaum noch laufen; heute hatte ich 25 Kilometer zurückgelegt
und dabei weit mehr als tausend Meter Höhenunterschied bewältigt! Ich war
stolz, aber auch total erschöpft. Mittlerweile tat mir alles weh und ich
lechzte nach einer Dusche und einem Bett!
Auch
mein neuer Bekannter Gerold hatte keine Lust mehr, weiterzulaufen. Er war schon
über sechzig und hatte Probleme mit den Füßen. Wie er mir freimütig erzählte,
war er nicht die ganze Strecke gelaufen und hatte auch schon einige Ruhetage
eingelegt. Ich lief nun schon fast vier Wochen ununterbrochen und er neckte
mich ein bisschen, weil ich kein Stück fahren wollte. „Wem willst du denn was
beweisen? Brauchst du das für deinen Stolz?“
„Ja,
vielleicht. Aber vor allem habe ich jetzt schon so lange durchgehalten und nun
will ich die letzten 200 Kilometer auch noch schaffen! Ich will es mir selbst
beweisen, keinem anderen!“
Gerold
lächelte vielsagend und endlich tauchte auch die Herberge vor uns auf. Mitten
in einem großen Garten stand ein uraltes Natursteinhaus mit offenem Kamin.
Einige Pilger saßen draußen an kleinen Tischen und winkten uns zu. Neben der
Eingangstür hockte ein älterer Spanier und verteilte Stempel. Erleichtert
stellten wir unsere Rucksäcke ab, doch als wildem Mann unsere Pilgerausweise
reichen wollten, winkte er ab: „No, no hay . No habitación libre !“ Verständnislos
sahen wir uns an, bis plötzlich Wolfgang neben uns stand, den auch Gerold schon
kannte.
„Ist
hier wirklich kein Bett mehr frei?“ Nein, der Hospitalero ließ sich nicht
erweichen. Was nun? Es war das erste Mal auf dem Weg, dass mir das passierte.
„Mir
gefällt es hier sowieso nicht!“, sagte Wolfgang. „Wollen wir uns nicht zusammen
ein Taxi nehmen und nach Ponferrada fahren?“ „Also, ich fahre nicht!“,
antwortete ich entschlossen und dann schon etwas kleinlauter: „Aber noch acht
Kilometer laufen schaffe ich auch nicht mehr.“ Wir setzten uns auf die
Steintreppe und beratschlagten. Gerold war von Wolfgangs Vorschlag sehr angetan
und nun versuchten mich die beiden erfolglos zu überreden, mitzukommen.
Schließlich entschlossen sie sich, allein zu fahren, und Wolfgang bot mir sein
Bett an. Na, damit war das Problem doch gelöst! Wolfgang packte seine Sachen,
ich bekam sein Bett und meinen Pilgerstempel und brauchte nicht einmal etwas
dafür zu bezahlen. Gerold hänselte mich noch ein bisschen, weil er es nicht
geschafft hatte, mich zu überreden. Aber mir war das egal, Hauptsache, ich
musste nicht mehr weiterlaufen. „Danke, Wolfgang, für dein Bett und buen
camino, Jungs!“
Die
Herberge sah von außen gemütlicher aus als von innen. Um den großen Kamin, in
dem leider kein Feuer brannte, standen einige Holzbänke und an den dicken
Steinwänden lagen Matratzen. Alles wirkte sehr dunkel und rustikal. Eigentlich
bestand die Herberge nur aus einem einzigen Raum, in dem eine offene Holztreppe
in die zweite Etage führte. Hier standen die Doppelbetten und einige wenige
winzige Fenster spendeten etwas Licht. Es war alles ziemlich beengt und
unsauber und in der Dusche rutschte ich erst einmal aus und fiel auf den
Rücken. Zum Glück passierte dabei nichts weiter, aber für heute reichte es mir.
Keinen Schritt würde ich mehr gehen als notwendig.
Wenigstens
konnte man hier schön seine Wäsche in den Garten hängen und die Sonne würde
alles noch gut trocknen. Bei schlechtem Wetter wäre einiges viel schwieriger
gewesen. So setzte ich mich nach all den Strapazen zu den anderen Pilgern in
den Garten und packte meine Vorräte aus. Endlich ausruhen!
Mein
Blick wanderte umher und ich erkannte den traurigen Australier, den ich
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