Das Leben in 38 Tagen
Anweisungen gaben. Für
mich war das ein ungewohnter Anblick.
In
einem Seiteneingang des Klosters fand ich das Refugio (das ist ein anderes Wort
für Herberge und bedeutet Zuflucht) und — war enttäuscht, obwohl es doch
eigentlich eine richtige Zuflucht war, nicht mehr und nicht weniger. Gleich
hinter der Eingangstür befand ich mich in einem riesigen dunklen Schlafsaal mit
Doppelstockbetten aus Metall und teilweise schmutzigen Laken. Niemand war da,
um die Pilger zu empfangen oder um zu erklären, wo man die Wäsche aufhängen, wo
man essen oder wie man in das Kloster gelangen konnte. Die Tür hinter dem
angrenzenden Waschraum mit Toiletten führte anscheinend in den Garten, aber sie
war einfach verschlossen. So fühlte ich mich hier im Kloster nicht angenommen,
sondern eher ausgeschlossen. Zum Glück traf ich noch einige Bekannte, Annemarie
aus Kiel, Elisabeth und Maria aus Bayern, die mit Gerold aus München unterwegs
waren. Alle vier hatte ich zuletzt in Molinaseca getroffen. Dort war allerdings
der immer etwas vornehm wirkende Gerold mit Wolfgang und dem Taxi nach Ponferrada
weitergefahren. Nun hatte ja Gerold wieder jemanden, den er aufziehen konnte!
Sollte ich ihm sagen, dass ich neun Kilometer gefahren war? Na, vielleicht
später! Nachdem wir uns frisch gemacht und etwas eingekauft hatten, suchten wir
uns ein Café, in dem es das erste Mal kostenlos kleine Tapas zu den bestellten
Getränken gab. Als wir diese noch einmal nachbestellen wollten, weil wir Hunger
hatten, lachten die zwei jungen Frauen, die die Bar betrieben. Das war wohl
sonst nicht üblich, aber sie füllten noch einmal nach. Von uns Deutschen konnte
keiner wirklich Spanisch sprechen. Da fehlte Heidemarie, aber sie wollte nach
den schlechten Erfahrungen in León sowieso nicht mehr in den Massenherbergen
übernachten. Ich hoffte, dass auch sie heute gut angekommen war.
27.
Samos, Sarrià und Rente
Um
17.00 Uhr sollte laut meinem Pilgerführer Gelegenheit sein, die Kreuzgänge des
Klosters zu besichtigen. Ehrfürchtig folgten wir einem kleinen, freundlichen
Mönch mit lebhaften braunen Augen, der uns in den Innenkomplex führte. Von hier
aus führten breite Steintreppen zu den drei Etagen mit den Kreuzgängen, die den
schön gestalteten grünen Innenhof von vier Seiten umrahmten. Leider konnte
Pater Sebastian nur Spanisch sprechen und es hatte sich kein Übersetzer gefunden.
Trotzdem erklärte er uns mit Begeisterung die vielen lebensgroßen Gemälde an
den Wänden der Kreuzgänge. Besonders ein Bild hatte es ihm angetan, auf das wir
immer wieder zurückkamen. Hier schaute ein Mönch dem Betrachter immer in die
Augen, egal, wo man sich hinstellte. Das war schon beeindruckend. Außerdem gab
es Szenen von dem Klosterbrand, der vor einigen Jahrhunderten die Gebäude fast
völlig zerstört hatte, und von verschiedenen kirchlichen Würdenträgern zu
sehen. Erstaunlich fand ich die lebensechte, ausdrucksvolle Darstellung der
Gesichter, die auf Fotos nicht interessanter hätten sein können.
Mindestens
ebenso beeindruckend aber wirkte auf mich auch das besondere, beruhigende Flair
innerhalb der Klostermauern. Von den einstmals 600 hier lebenden Benediktinermönchen
gibt es heute leider nur noch 25. An jeder der alten, verzierten Holztüren
stand ein Name. Zu gern hätte ich mir einmal eine Zelle der Mönche von innen
angeschaut. Ja, ich hätte auch gern hier übernachtet und nicht in dem an der
Straße gelegenen Refugio. Bestimmt wäre es eine gute Erfahrung, einmal eine
Woche in dieser eigenen ruhigen Welt zu verbringen...
Da
ich sowieso nicht verstand, was Pater Sebastian erklärte, beobachtete ich ihn
und die anderen ab und zu leise vorbeihuschenden Mönche. Pater Sebastian machte
einen zufriedenen, ja glücklichen Eindruck. Er besaß sicher weder Geld noch
Luxus, hatte auf eine Familie, auf Liebe, auf materielles Eigentum verzichtet
und strahlte trotzdem eine innere Fröhlichkeit aus, die mich an den Dalai Lama
erinnerte. Also war Glück etwas, das laut dem Dalai Lama jeder in seinem
Inneren fühlen kann, wenn er sich nur die Zeit dazu nimmt? Liefen wir etwa
deshalb diesen Weg, um Zeit zu finden, das Glück in unserem Inneren zu fühlen?
Das Glück, das mit Sorgen, Enttäuschungen, Hast und lauten Medien in unseren
Herzen nur zugeschüttet ist? Es könnte sein, dass es das ist, was uns mit dem
Millionär und Laura Bush verbindet. Wir alle sind auf der Suche nach dem Glück
und stellen dabei früher oder später fest, dass Geld und Arbeit
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