Das Leben in 38 Tagen
wohlbekanntem Tütenrascheln, Reißverschlussziehen und
Taschenlampenleuchten. Ich sah wieder zu, wie die anderen Pilger sich fertig
machten und losgingen, darunter auch Elisabeth und Maria. Wir winkten uns kurz
zu, und als es ruhiger wurde, ging auch ich mich waschen und packte meine
Sachen. Als ich dann kurz vor 8.00 Uhr gehen wollte, stand Gerold noch neben
seinem Bett, hatte seine sämtlichen Siebensachen akkurat darauf ausgebreitet
und legte nun jedes einzelne Teil seiner Wäsche sorgfältig zusammen. Bei ihm
schien alles genau nach einem Plan zu laufen, selbst das Rucksackpacken. Mit
ernster Miene erzählte er mir, dass er eben seine Zeit brauchen würde; für
seine Medikamente, seine Augentropfen, seine Wäsche usw. Obwohl er ja recht hatte und ich selbst auch immer meine Zeit brauchte,
musste ich mir doch Mühe geben, ernst zu bleiben. Bei seiner gewählten
Redeweise hatte man eben immer den Eindruck, dass er etwas über den Dingen
stehen wollte, dabei war er doch nur ein einfacher Mensch wie jeder andere von
uns!
So
verabschiedete ich mich und ging zunächst in eine kleine Bar mitten im Dorf
frühstücken. Diese kleinen Bars entlang des Weges hatten es mir angetan und
diese hier war besonders gemütlich, weil es statt eines Fernsehers Musik von
den Beatles gab! Eine ganze CD spielte der junge Barbesitzer ab und mir schien
es das beste Frühstück seit langem, obwohl es nur aus Toast, Butter, Marmelade
und Kaffee bestand! Ich ließ mir Zeit, mir konnte ja nichts passieren (genau
wie Gerold!), und träumte wieder einmal davon, wie schön es wäre, so ein
eigenes kleines Café zu haben. Ich hatte ja im Moment keine Arbeit und musste
mir etwas einfallen lassen mit über fünfzig Jahren! Vor allem gemütlich müsste
es sein; mit viel Holz, mit Kerzen, Blumen und verschiedenen Lampen und Bildern
an den Wänden. Mit Kuschelecken, Lese- und Esstischen und vor allem mit guter
Musik!
Warum
gab es hier in fast jedem kleinen Ort einfache Bars, während es in Deutschland
außer in großen Städten kaum Frühstückscafés gab? Ob die Deutschen zu
anspruchsvoll waren? Arbeiter sah man jedenfalls kaum in Gaststätten, sie aßen
in Deutschland lieber am Imbissstand, ob das nun früh, mittags oder nachmittags
war. Gemütlich machten es sich die Deutschen lieber zu Hause, in ihren eigenen
vier Wänden. Hier wurde das schwer verdiente Geld investiert und nicht so sehr
in das öffentliche Leben wie in den meisten anderen Ländern. Zumindest schien
es mir so und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass ein solches Café zum
Beispiel in meinem Heimatort genug Kundschaft haben würde. Auf der anderen
Seite ist es in Deutschland auch wesentlich schwieriger, Genehmigungen für ein
öffentliches Geschäft zu bekommen. Da wird es willigen Existenzgründern durch
viele Vorschriften und langwierige Genehmigungsverfahren oftmals unnötig schwer
gemacht. Hier, auf dem Jakobsweg, hatte ich zum Beispiel schon mehrmals erlebt,
dass die Bauern in ihren Scheunen Kaffee, Getränke und Frühstück angeboten
hatten, nur mit ein paar Tischen und Stühlen oder Bänken ausgestattet, ganz
einfach. Dann stand eben ein Schild „ Desayunos “ — das
heißt „Frühstück“ — am Wegesrand. Das wäre in Deutschland wohl nicht möglich...
Nun
musste ich aber endlich losgehen, wenn ich noch ein Bett in der gelobten
Privatherberge bekommen wollte. Meine Füße hatten sich seit der Fußmassage und
den Fußbädern kontinuierlich verbessert, so dass ich es heute sogar wagen
konnte, ohne mein Spezialpflaster loszulaufen. Es war nämlich schon wieder
einmal zu Ende gegangen. Bis Sarrià , der Stadt mit
der magischen Hundert-Kilometer-Marke vor Santiago, waren es noch fünfzehn
Kilometer. Obwohl der Weg wieder einmal hauptsächlich neben der Landstraße
entlang führte, machte das Laufen heute Spaß.
Es
war Sonnabend, wenig Verkehr, und ringsum sah man eine herrliche, leicht
bergige Landschaft in den unterschiedlichsten Grüntönen. Alles wirkte so üppig
und satt, als ob es hier immer genügend Wasser und Sonne geben würde. Eben
typisch Galicien. Dunkle Wälder mit altem Baumbestand wechselten sich mit
saftigen Wiesen, dichten Hecken und hellgrünen Feldern ab. Schon immer hatten
mich die vielen verschiedenen Farbschattierungen, die nur die Natur zaubern
konnte, fasziniert. Für einen Landschaftsmaler gab es wirklich herrliche Motive
auf dem Weg und auch ich hatte nun jeden Tag Gelegenheit, diese in Ruhe zu
studieren. Voller Freude sang ich vor mich
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