Das Leben in 38 Tagen
allerdings hatte dort ein schlimmes Erlebnis. Sie hatte
sich mit Chris in einem der oben offenen Zweibetträume eingerichtet und dort
wurden ihr 300 Euro aus der Hosentasche gestohlen, als sie schlief. Die Hose
hing währenddessen über der Schranktür. Natürlich war alles frei zugänglich und
Helen hätte niemals so viel Geld in ihrer Hosentasche haben dürfen. Trotzdem
stellte sich die Frage nach dem Dieb! Chris hatte gleich die Polizei alarmiert
und sich sehr um sie gekümmert, aber komisch war es schon, dass er seitdem
verschwunden war! Dies war aber nur ein plötzlich aufkommender Gedanke von mir,
der für Helen wohl keine Rolle spielte. Helen war zwar enttäuscht, denn das
Geld blieb verschwunden, trotzdem konnte sie schon wieder lachen und erzählen!
Später
gesellte sich Annemarie zu uns und sie konnte die Geschichte kaum fassen, da
sie Chris ja auch etwas näher gekannt hatte. Als Helen dann gegangen war,
erzählte ich ihr, dass Chris wahrscheinlich Scientology-Mitglied war, und das
ergab für sie ein schlüssiges Täterbild. „Na, jetzt ist doch alles klar! Der
brauchte das Geld für seine Organisation! Wahrscheinlich dachte er nicht
einmal, dass er etwas Schlechtes tun würde. Da Helen anscheinend genug Geld
besaß, hatte er es keinem Armen weggenommen, oder?“
Ich
wusste nicht so recht, was ich denken sollte. Chris war mir immer besonders
warmherzig und auch vertrauensvoll erschienen. Es war mir sogar schwer gefallen,
mich von ihm zu trennen...
„Denk
doch mal nach!“, begann Annemarie wieder, „das war seine Masche, er hat sich an
dich und auch an mich herangemacht mit seinem freundlichen Lächeln und seinem
Charme. Als ich mit ihm zusammen Abendessen war, hat er mich auch gleich
gefragt, ob ich verheiratet bin.“
Na
ja, das alles musste nichts bedeuten, aber seltsam fanden wir das schon, vor
allem, dass ihn seitdem keiner mehr gesehen hatte. Es wäre doch wirklich
interessant zu erfahren, ob er sich tatsächlich in Santiago mit seiner Frau
getroffen hatte. Vielleicht war es auch gut, dass wir nicht näher
zusammengekommen waren! Wie das Leben manchmal so spielt!
Bisher
hatte auf dem Jakobsweg erst einmal jemand erzählt, dass ihm etwas gestohlen
worden war, und das war Sonja. Ihr waren auf der Wäscheleine in dem Dorf
Hontanas zwei neue Shirts abhanden gekommen , die
nicht billig gewesen waren. Daraufhin musste sie, die sowieso sehr wenig Geld
hatte, sich auch noch etwas Neues in Spanien kaufen. Darüber war sie sehr sauer
gewesen. Ansonsten war mir nie etwas Negatives aufgefallen. Allerdings trug ich
mein Geld auch immer in einem Brustbeutel direkt am Körper, selbst beim
Schlafen, und das machten wohl die meisten Pilger so.
In
Portomarín schienen sich jede Menge Pilger zu treffen, Bekannte und Unbekannte.
Man merkte, dass die letzten hundert Kilometer begonnen hatten, die für einige
ja erst den Anfang bedeuteten. Schließlich traf ich noch das Kemptener Ehepaar,
mit denen ich zusammen Abendbrot aß, Elisabeth, Maria und Gerold, die in der
anderen Herberge untergekommen waren, und später in meiner Unterkunft lief mir
dann noch Aghi über den Weg! Wir umarmten uns so
herzlich wie alte Freunde. Die agile Aghi strahlte
wieder eine Lebensfreude aus, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Wir
setzten uns eine Weile zusammen und tauschten die wichtigsten Neuigkeiten aus.
Danach war sie schon wieder zum Abendessen verabredet und ich konnte endlich
einmal nach Hause telefonieren.
Das
war lustig, denn das Telefon hing im Flur zwischen Speiseraum und Schlafraum;
ständig liefen Menschen vorbei, jeder konnte alles mithören und auch der
Angerufene selbst bekam das laute Sprachenwirrwar im
Hintergrund mit. Gegenüber dem Telefon standen die Computer mit Internetzugang.
Während ich mich mit meinem Mann unterhielt, konnte ich die Frau eines anderen
Pilgers auf dem Bildschirm zu Hause beobachten, mit der dieser gerade über das
Internet sprach. Wie einfach es doch heute geworden war, über jede Entfernung
zu kommunizieren, und nun sogar mit Bild! Wie schnell konnte man mit jedem
Menschen Verbindung aufnehmen, wenn man es wollte!
Das
Gespräch mit meinem Mann tat mir trotz des Stimmengewirrs richtig gut. Ich
konnte seine Freude spüren, dass ich bald nach Hause kommen würde, und das
wärmte mein Herz. Er erzählte, dass er schon Geranien für unsere vielen Fenster
gekauft und sogar eingepflanzt hatte. Und das, obwohl er jeden Tag fast zwölf
Stunden unterwegs war! Ich sollte mich freuen, wenn
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