Das Leben in 38 Tagen
Blumengestecke und liebevoll
gepflegte alte Truhen und Möbel. Aber den größten Luxus stellte ein Bad mit
Badewanne dar, das ich mir nur mit den zwei bayrischen Frauen zu teilen
brauchte. Das Wasser war und blieb heiß und so badete ich genüsslich (es gab
sogar Schaumbad!), wusch mir die Haare und gab die Wäsche in die Waschmaschine (!).
Anschließend trafen wir uns in dem großen Bauerngarten, wo die Hühner mit ihrem
Hahn, einem Truthahn sowie einigen Gänsen ein idyllisches Landleben führten.
Davon zeugten nicht zuletzt die vielen gescharrten Löcher und die sonstigen
Spuren der Tiere... Wir hängten die Wäsche an einer großen Leine zwischen
mehreren Obstbäumen auf und ließen uns dann hier draußen einen Kaffee samt den
mitgebrachten Keksen schmecken. Einfach himmlisch, hier angekommen zu sein!
Ein
älterer Italiener saß neben uns auf der Bank und zeigte uns freudestrahlend
seine beiden fast vollen Pilgerpässe, die wir ehrfürchtig ansahen. Jeder
Stempel konnte von einem anderen Ort und seiner Geschichte erzählen. Der
Italiener war schon durch halb Frankreich gepilgert und dort sollte es ja auch
besonders schöne Pilgerstrecken geben. Zu gern hätte er uns mehr davon
berichtet, doch er konnte kaum Englisch und wir kein Spanisch. Aber mein erstes
Credencial war nun auch schon fast voll und ich musste morgen noch ein neues
beginnen! Und darauf war ich mindestens genauso stolz wie er!
Ich
setzte mich auf die Schaukel und ließ meine Haare in der Sonne trocknen. Da ich
ja keinen Fön hatte, musste ich mir immer überlegen, wann ich mir die Haare
waschen konnte. Aber zum Glück hatte ich mir meine langen Haare vor der Reise
abschneiden lassen. Das sollte auch eine Art Zeichen für mich sein, mit dem
Vergangenen abzuschließen, den alten Zopf, den ich wirklich fast dreißig Jahre
getragen hatte, abzuschneiden. Aber war es mir schon gelungen, mit der äußeren
Veränderung auch etwas in meinem Inneren zu verändern? Auf jeden Fall gab ich
mir große Mühe, dies zu tun, denn ich hätte diesen Weg sicher nicht begonnen,
wenn ich mit mir zufrieden gewesen wäre...
Das
sanfte Schaukeln unter dem Baum machte mir Spaß und plötzlich fühlte ich mich
wieder einmal in meine Kindheit zurückversetzt. Genauso hatte ich früher auf
unserer Schaukel in dem Bauerngarten neben meinem Elternhaus gesessen, welches
ja noch von meinen Großeltern stammte. Damals gab es auch einige Hühner, die dort
herumliefen, und einen Hahn, an den ich ganz schlechte Erinnerungen habe.
Seitdem ich nämlich einmal ein rotes Kopftuch getragen hatte, war ich zu seinem
Konkurrenten geworden und er hatte es von da an immer auf mich abgesehen.
Sobald ich in den Garten kam, rannte er auf mich zu und wollte mir auf den Kopf
fliegen. Ich hatte eine Heidenangst vor dem wilden Vieh, aber an eine Szene
kann ich mich noch genau erinnern:
Einmal
saßen meine Eltern friedlich in Liegestühlen mitten im Garten und deshalb
traute ich mich hinein. Doch kaum hatte ich die Gartentür geöffnet, kam der
eben noch friedlich gluckende Hahn gleich wieder auf mich zugeschossen und ich?
Ich lief schreiend zu meinen Eltern, die mich nur auslachten. So rannte ich immer um die Liegestühle herum und der verrückte
Hahn mir immer hinterher. Für mich war es wie ein Albtraum, den ich nie
vergessen habe, aber für meine Eltern bedeutete es nur Spaß. Das konnte ich
nicht verstehen. Irgendwann hat mich schließlich meine Oma gerettet, die sich
das nicht mehr mit ansehen konnte, und der Hahn landete im Kochtopf. Danach
wurde auch nie wieder ein Hahn gekauft. Noch heute habe ich kein besonders
gutes Verhältnis zu Tieren, besonders zu denen mit Flügeln, leider...
Der
Italiener stieß mich eine Weile auf der Schaukel an, und als dann alle nach
drinnen gegangen waren, um sich auszuruhen, hatte ich Zeit, weiter über mich
nachzudenken. Mit dem Weg hatte ich mir bewiesen, dass ich doch einen starken
Willen hatte (selbst vor einem Hahn hatte ich keine Angst mehr!), aber mir war
auch klar geworden, dass ich damit nur mich selbst beeinflussen konnte. Ich
konnte nicht mit meinem Willen gegen den Willen eines anderen kämpfen. Man
sollte nicht gegen etwas, sondern nur für etwas kämpfen. „Die Freiheit des
Einzelnen endet da, wo die Freiheit des Anderen anfängt!“ Diesen Spruch hatte
ich mal irgendwo gelesen und ich hielt ihn für sehr zutreffend. Man kann auch
bestimmt nicht glücklich sein, wenn man seinen Willen einem anderen aufzwingt.
Letztendlich wird es den anderen
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