Das Leben in 38 Tagen
unglücklich machen und damit schließlich
wieder einen selbst...
Da
war ich wieder an dem Punkt, an dem ich gestern im Kloster angelangt war; das
Glück muss im eigenen Inneren liegen, nicht im Verhalten des anderen. Wenn man
das gefunden hat, dann kann man nicht mehr enttäuscht werden, weil man keine
Ansprüche und Erwartungen an den anderen mehr hat. Dann kann man die
Gelassenheit erreichen, von der ich geträumt hatte. Ob man das überhaupt
schaffen kann als einfacher Mensch in seiner Zerrissenheit, mit den ständigen Widersprüchen
zwischen Kopf und Herz, mit seinen ewigen Wünschen und Sehnsüchten? Und wie
weit darf man die dann überhaupt noch haben?
Am
Abend saßen wir, die vier Deutschen, der Italiener und zwei US-Amerikaner aus
Seattle, an einem Tisch im gemütlichen Esszimmer. Die Tochter des Hauses, ein
junges, etwas schüchternes Mädchen mit auffallend vorstehenden Zähnen,
servierte uns die nun schon typische galicische Gemüsesuppe mit viel
Sellerielaub und Brot. Anschließend gab es Schnitzel, Kartoffeln und Salat und
als Nachtisch „Flan“, den spanischen Karamellsahnepudding. Im Gegensatz zu
allen anderen Pilgern aßen die beiden Amerikaner nur wenig, obwohl sie sagten,
dass es ihnen schmecken würde. Ich hatte den leisen Verdacht, dass sie lieber
Pommes mit Ketchup gegessen hätten. Es war eben kein Fast
food , sondern liebevoll in der Familienküche zubereitet. Auch hier sah
man wieder, dass in den Privatherbergen und besonders in den Bauernhöfen die
ganze Familie in die Arbeit integriert war. Nur schade, dass anscheinend das
Geld für eine kieferorthopädische Behandlung des jungen Mädchens, welches ein
hübsches Gesicht hatte, nicht ausreichte. In Deutschland ist man so einen
Anblick gar nicht mehr gewöhnt und man kann nur hoffen, dass das bei der
chronischen Geldnot der Krankenkassen auch in Zukunft so bleiben wird.
Einer
der Amerikaner war Psychologe, der andere Computerspezialist und beide schienen
etwa in meinem Alter. Sie machten einen ausnehmend netten Eindruck und zeigten
sich sehr an unseren Motiven für den Camino interessiert. Ich erzählte von Hape Kerkeling, von dem sie noch nie etwas gehört hatten,
und dass die vielen Deutschen unterwegs wohl zum großen Teil auf ihn und sein
Buch zurückzuführen seien. Der Psychologe hatte die Beschreibung des
Jakobsweges von Shirley McLane und Paulo Coelho
gelesen, so wie ich auch. Ich hätte mich gern intensiver mit den beiden
unterhalten, aber nun wollte der Italiener unbedingt seine Erlebnisse
loswerden, froh, dass ihn endlich mal jemand verstand, und so unterhielten sich
die drei hauptsächlich in Spanisch oder Italienisch und wir übrigen vier uns in
Deutsch.
Von
Elisabeth und Maria erfuhr ich einiges über ihre Familien. Sie lebten beide in
einfachen, geordneten Verhältnissen auf dem Land und schienen mit ihrem Leben
zufrieden zu sein. Für sie war wohl die Verbindung zwischen religiösem Pilgern,
Wanderlust und dem „mal mit der Freundin raus aus dem Alltag“ die Motivation.
Gerold schien mir Probleme mit seiner Pensionierung und der damit verbundenen
Suche nach einer neuen Lebensaufgabe zu haben. Gerade in seinem Beruf als
ständiger Vorgesetzter und Befehlsgeber war es bestimmt schwierig, sich darauf
einzustellen, auf einmal keine Autorität mehr zu haben. Man spürte bei ihm,
dass er es gewohnt war, zu jeder Meinung Stellung zu beziehen, ohne sich dabei
auf große Diskussionen einlassen zu wollen. Vielleicht war er auch deshalb so
gern mit den beiden Frauen zusammen, weil sie ihn so akzeptierten, wie er war,
und keine entscheidende andere Meinung hatten. Außerdem kamen sie alle drei aus
Bayern und das verband wohl auch. Trotz des leichten Autoritätsgehabes war
Gerold keinesfalls ein unsympathischer Mann. Er konnte auch Witze erzählen und
herzlich lachen, genauso wie die zwei Frauen. Deshalb empfand ich es als sehr
angenehm, mit ihnen zusammen den Abend zu verbringen.
In
der Nacht regnete es, der Wind rauschte in den großen Bäumen und rüttelte an
den Fensterläden. Ich lag in meinem warmen Doppelbett und genoss die
unbekannten Geräusche aus sicherer Entfernung. Am Morgen weckte mich der Hahn mit
nachhaltigem Krähen. Der Regen hatte aufgehört und nach einem guten Frühstück
ging es frisch und erholt in den neuen Tag, den letzten Sonntag meiner Reise.
Nächsten Sonntag würde ich schon zu Hause frühstücken! Eine tiefe Vorfreude
erfasste mich, so wie ich sie den ganzen Weg noch nicht gespürt hatte. Ich
freute
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