Das Leben in 38 Tagen
Wirt klarmachte, was sie
wollte. Und das wusste sie im Gegensatz zu mir immer ganz genau, wobei sie
dabei natürlich auch auf die Erfahrungen ihrer vorhergehenden Pilgerreisen und
ihrer Spanischkenntnisse bauen konnte. „Und der Wirt tat, wie ihm geheißen!“,
das heißt, er sprang so lange um uns herum, bis Aghi zufrieden war. Wir lachten und schwatzten, bis Pascale gehen wollte . Draußen schien auf einmal die Sonne und
ich zog mit Aghi samt Wein und Essen vor die Tür.
Hatten wir nicht alle Zeit der Welt?
„La
dolce vita — das süße Leben!“, sagte Aghi und wir stießen darauf an, bis die Flasche leer war.
Ich glaube, es war einer der glücklichsten Momente auf dem Jakobsweg, obwohl
die mittlerweile so zahlreich geworden waren, dass man sich vielleicht schon
nicht mehr an alles erinnern konnte. Ich erzählte Aghi von meinen Problemen mit der Arbeit und sie redete mir gut „Ich bin mir sicher,
dass du wieder eine Arbeit finden wirst, die genau zu dir passt. Du musst nur
zu Josef, dem Arbeiter, beten! Ich weiß, dass er dir helfen wird! Du musst nur
fest daran glauben!“ Sie war so überzeugt von dem, was sie sagte, dass ich auf
einmal auch anfing, ein bisschen daran zu glauben…
Nun
war die Flasche leer, den Rest Käse packten wir ein, dann trennten wir uns
wieder. Aghi lief auch fast immer allein; sie
brauchte das zum Meditieren und Beten. Ich fand, dass sie eine wunderbare Frau
war. Sie schien mir so überzeugt, so fest in ihren Vorstellungen und dabei doch
so aufgeschlossen, lebenslustig und tolerant. Fast wie ein Engel war sie mir
immer wieder begegnet und hatte Freude und Zuversicht in mein Leben gebracht.
Nur schade, dass wir Carol bis jetzt nicht mehr wiedergetroffen hatten. Wo sie
wohl jetzt war?
„Buen
camino, my peregrina-friend !“
„Buen camino, God with you !“
Der
Nachmittag war schon angebrochen, als wir uns wieder jeder für sich auf den Weg
gemacht hatten. Nun traf man fast ständig Pilger unterwegs, Bekannte und
Unbekannte, man hatte den Eindruck, als ob es mit jedem Tag voller auf dem
Camino wurde. Ich war richtig froh, wenn ich mal vor und hinter mir niemand sah
und ich mich auf das Vogelgezwitscher, das Rauschen der Bäume oder das
Plätschern eines Bächleins konzentrieren konnte. Die letzten Kilometer wollte
ich auf jeden Fall noch genießen und so blieb ich auch öfter stehen, um diese
Momente der Ruhe im Einklang mit der Natur auszukosten.
Nach
26 Kilometern und einer wunderschönen Wanderung über Berg und Tal mit Regen,
Wind und Sonne erreichte ich erschöpft, aber glücklich Palas de Rei , eine Kleinstadt von etwa 4000 Einwohnern, mein
heutiges Etappenziel. Gleich am Eingang des Städtchens empfing mich eine große,
neue Herberge mit viel Glas, ähnlich der in Portomarín, nur dass diese hier
städtisch war und nichts kostete! Hier gab es zwar weder Telefon noch Internet,
aber sonst war alles in Ordnung! Neben mir im Doppelstockbett unten hatte
Annemarie aus Kiel ihren Schlafsack ausgebreitet und über uns lachten schon die
blonden Köpfe von Elisabeth und Maria. Aus der Ecke winkten uns Helga und
Alfred, das ältere Ehepaar aus Goslar, zu.
Die
beiden waren mir nun auch schon ein bisschen ans Herz gewachsen, seitdem ich
sie etwas näher kennen gelernt hatte. Die kleine, schmale Frau mit den grauen
Locken kümmerte sich stets so rührend um ihren Mann, während sich dieser in
männlicher, etwas ruppiger Art betont gelassen gab. Seitdem die beiden den O
Cebreiro, den letzten hohen Berg, hinter sich gelassen hatten, waren sie nun
voller Tatendrang für die letzten Kilometer. Helga erzählte mir, dass sie den
Weg aus religiösen Gründen laufen würden und ihnen bereits dreimal ein Mönch
auf dem Weg begegnet wäre. Das letzte Mal auf dem steilen Anstieg hinauf zum O
Cebreiro, als sie kaum noch laufen konnten. Da sei ein junger, singender Mönch
in brauner Mönchskutte an ihnen vorbeigelaufen, hätte sie gesegnet und ihnen
Mut zugesprochen. Seitdem, erzählte Helga strahlend, würde ihnen beiden das
Laufen ganz leicht fallen. „Stimmt’s, Alfred?“, und Alfred nickte bestätigend.
Ich musste lächeln, als die alte Frau ihrem Mann einen dicken Kuss auf die
Wange gab, obwohl dieser immer noch sein etwas mürrisch wirkendes Gesicht trug.
Interessant
fand ich es schon, dass den beiden auf ihrem relativ kurzen Weg von León bis
hierher bereits dreimal Mönche begegnet sein sollten, während mir noch nicht
einmal einer über den Weg gelaufen war. Hatten sie den Zuspruch
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