Das Leben in 38 Tagen
gleiche Zeit die Stadt verließen, so nahm die Zahl der
Einheimischen in dem Naherholungsgebiet drastisch zu. Ich hätte nicht gedacht,
dass an einem Donnerstagmorgen so viele Menschen in Jogginganzügen laufen oder
mit ihren Hunden spazieren gehen würden. Wie musste das hier erst am Wochenende
aussehen?
An dem schönen Stausee selbst bot sich uns
ein Bild wie im Märchen. Hier saßen schon einige bekannte Jugendliche auf der
flachen Staumauer, einer spielte Gitarre (der Einzige, den ich auf dem Weg
traf, der seine Gitarre mitschleppte!), die anderen sangen leise. Wie schön, dass
gerade die deutschen Jugendlichen hier so positiv auffallen, dachte ich.
Die Sonne hatte ihre goldenen Strahlen über
den blauen See geworfen und spiegelte sich mit den umstehenden alten Bäumen im
Wasser. Der leichte Wind kräuselte die Wellen und streichelte unsere erhitzten
Gesichter und wir konnten nicht anders, wir mussten das hier erst einmal
genießen und uns in der Nähe der Jugendlichen ebenfalls eine Pause gönnen.
In dieser friedlichen Stimmung fiel mir im
Gegensatz dazu plötzlich die Figur des „Maurentöters“ von der Santiagokirche in Logroño ein. Nach der Überlieferung soll
wenige Kilometer von hier, wo der Felsen und die berühmte Burgruine von Clavijo liegen, im neunten Jahrhundert ein wichtiges
Gefecht zwischen Christen und Muslimen stattgefunden haben, in dessen Verlauf
der heilige Jakobus als Ritter auf einem Schimmel erschien. In der einen Hand
trug er eine weiße Fahne mit rotem Kreuz und in der anderen Hand ein Schwert.
Damit soll er den Christen, die schon im Begriff waren, die Schlacht zu verlieren,
zum unerwarteten Sieg verholfen haben.
Dies ist eine der Legenden zur Geschichte
des Jakobsweges in Spanien, die die Bedeutung des heiligen Jakobus (= Santiago)
als Schutzpatron erklären sollen.
Wenn man auf historischen Wegen geht,
trifft man immer wieder auf Spuren von Schlachten und Kämpfen, als ob es im
Leben nur darauf ankommt, wer der Stärkere ist, wessen Religion die richtige
ist...
Im Namen der Kirche wurden so viele Kriege
geführt, mussten zahlreiche Menschen sterben, und das, obwohl Jesus selbst
niemals Gewalt angewendet oder zur Gewalt aufgerufen hat. Er hat im Gegenteil
immer versucht, die Menschen mit seiner Liebe und mit Worten von seinem Glauben
zu überzeugen, wobei er letztendlich lieber selbst gestorben ist, ehe er andere
angegriffen hätte. Ich kann einfach nicht glauben, dass Jesus gewollt hätte,
dass im Namen Gottes Kriege geführt, Eroberungen gerechtfertigt und
Menschenleben geopfert werden sollten. Oder dass Menschen gezwungen werden
sollten, ihrer eigenen Religion zu entsagen und eine andere Religion
anzunehmen. Wer will sich anmaßen, zu entscheiden, welcher Glauben der richtige
ist?
Jesus hätte gewollt, dass alle Menschen,
egal, welcher Herkunft, welcher Nationalität und welcher Religion, sich
gegenseitig achten und annehmen würden. Ich persönlich glaube nicht, dass Gott
in einem Krieg auf irgendeiner Seite steht, denn Kriege sind niemals gerecht.
Kriege sind nicht gottgewollt und schon gar
nicht „heilig“, sondern von Menschen gemacht, und zwar meist von denen, die
selbst ihr Leben nicht dabei einsetzen würden. Nur um ihre eigene Macht zu stärken, suggerieren sie anderen Pflicht
und Notwendigkeit, ihr Leben zu riskieren, ihr Land oder andere Menschen vom
„Bösen“ zu befreien. Aber wer entscheidet, was böse ist?
Gerade auf diesem Camino kann man sehen,
dass es keine Probleme zwischen den unterschiedlichsten Menschen geben muss. Es
spielt keine Rolle, woran hier einer glaubt oder wo er herkommt. Alle fühlen
sich wie in einer großen Familie. Keiner will dem anderen etwas aufdrängen, aber
jeder ist bereit, dem anderen zu helfen. So ein Bewusstsein in der Welt zu
erreichen, das wäre ein großes und schönes Ziel.
Als ich einmal mit meinem Mann auf
Mauritius war, hat uns die friedliche Toleranz beeindruckt. Es gibt dort
offiziell 365 verschiedene Religionen, die jeder frei ausüben kann. Da stand
wirklich eine katholische Kirche neben einem buddhistischen Tempel, eine
Synagoge neben einer Hindukirche. Vor den Häusern wehten Fähnchen der
verschiedenen Glaubensrichtungen oder die Menschen hatten teilweise ihre Häuser
entsprechend gekennzeichnet, aber immer durcheinander, ohne Zusammenballung
bestimmter Gruppen. Jeder zeigte mit Stolz seinen Glauben, aber achtete
gleichzeitig auch den Glauben seines Nachbarn. Es gab dort so gut wie keine
Kriminalität, fast ein
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