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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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kleines Paradies, auf jeden Fall ein gutes Beispiel. Ich
glaube, es kommt in erster Linie darauf an, dass man die Gemeinsamkeiten sucht,
die es zwischen allen Menschen gibt, wenn man Toleranz und Verständigung
erreichen will und nicht bei den Gegensätzen den Dialog beginnt...
    Inzwischen waren wir an dem schönen See
vorbeigelaufen und hatten das Naherholungsgebiet verlassen. Madlen lief mit ihrem leichten Schritt wie immer ein Stück voraus, sie hatte
allerdings auch noch keine Probleme mit ihren Füßen. Nur ihre Waden sahen rot
und geschwollen aus. Gestern hatte sie sich in der Apotheke in Logroño eine
Salbe und Allergietabletten gekauft, denn es war immer schlimmer statt besser
geworden. Diese roten Flecken konnte man bei einigen Pilgern beobachten, die
kurze Hosen trugen. Wahrscheinlich kam es vom Umherstreifen durch Wald und
Feld. Madlen war aber niemand, der so schnell jammern
würde. Ich habe nicht erlebt, dass sie einmal schlechte Laune gehabt hätte. Ihr
Laufstil entsprach sicher ihrer Lebenseinstellung: immer couragiert vornweg
gehen, alles anpacken, verarbeiten und zu Ende führen. So führte sie die
rundliche, gemütliche Charlotte im Schlepptau, die sich auch nicht aus der Ruhe
bringen ließ, wenn sie weit zurücklag. Sie wusste, irgendwo würde Madlen wieder auf sie warten. Madlen hatte sie schließlich auch zu der Wanderung animiert, denn sie war die Strecke
schon vor Jahren einmal mit ihrem Mann gelaufen und hatte Charlotte daraufhin
mit ihrer Begeisterung angesteckt.
    Wir waren jetzt gut zwei Stunden unterwegs
und liefen wie die Olsenbande hintereinander auf
einem asphaltierten, etwas abschüssigen Weg direkt neben einer Landstraße.
Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und auch ich war gerade mal
wieder mittendrin im Kampf gegen mein eigenes Hamsterrad im Kopf, das mir immer
wieder die Vergangenheit aufdrängen wollte und nicht z uließ, dass ich
sie abschließen konnte. So versuchte ich vergangene Dinge zum hundertsten Mal
zu analysieren oder unsinnigerweise zu ändern, da wurde ich abrupt aus meiner
Gedankenwelt gerissen.
    Plötzlich stolperte ich und spürte auf
einmal, wie ich die Kontrolle über meinen Körper verlor und nach vorn stürzte.
Gleichzeitig versuchte ich, mit meinen Füßen dagegen zu steuern, während ich in
Sekundenbruchteilen merkte, dass diese mir nicht mehr gehorchten und scheinbar
irgendwo fest hingen. Instinktiv riss ich meine Arme mit den Stöcken nach
hinten, um meine Augen zu schützen, und schon hörte ich meinen Kopf ungebremst
auf den harten Beton aufschlagen. Wie ein Feuerwerk sah ich plötzlich Hunderte
von Sternen in einen schwarzen Himmel schießen.
    „Das war’s“, war mein erster Gedanke. „Aus
und vorbei mit meinem Camino!“ Ich lag der Länge lang auf dem Boden, fühlte,
wie mir das Blut übers Gesicht lief und die Tränen aus den Augen schossen.
„Scheiße, Scheiße, scheiß-sinnloses Hamsterrad!“ In Gedanken sah ich mich schon
auf einer Liege im Krankenhaus!
    Im Nu waren die beiden Krankenschwestern —
welch ein Glück im Unglück — bei mir und versorgten mich liebevoll. „ It’s not so bad !“, sagten sie und
säuberten mich mit Trinkwasser, desinfizierten meine Wunden und verklebten sie
mit Pflaster.
    Ich nahm gleich meine Arnicakügelchen als erste Hilfe bei Unfällen, aber Wasser zum Kühlen hatten wir leider nicht.
Nun heulte ich also das erste Mal auf dem Weg! Wie ein Häufchen Elend saß ich
auf dem Beton und verwünschte alle sinnlosen Gedanken und Gefühle, die mich
scheinbar in diese Lage gebracht hatten. Der Schreck ließ mich in der Sonne
zittern, aber ich war nicht bewusstlos gewesen. Das war das Wichtigste. Auf
keinen Fall wollte ich zum Arzt. Meine Sonnenbrille war hinüber, aber
vielleicht hatte sie dabei sogar meine Augen geschützt. Es hätte viel schlimmer
kommen können. Immer wieder hörte man von Stürzen, von Verstauchungen und sogar
Arm- und Beinbrüchen. Soweit ich feststellen konnte, hatte ich mir tatsächlich
nur die Stirn und die Knie aufgeschlagen.
    Ich saß immer noch auf dem Asphalt und
heulte, während die Sonne auf mich herab schien und die beiden
Krankenschwestern um mich herumstanden. Die ganze Anspannung schien sich nun zu
lösen. Warum hatte ich mein Stolpern nicht auffangen können? Als ich versuchte,
aufzustehen, sah ich die Bescherung: Die langen Schnürsenkel des rechten
Schuhes hatten sich in den großen Ösen des linken Schuhes verhakt und somit
konnte ich meine Füße nicht mehr

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