Das Leben in 38 Tagen
bewegen. Während es dabei leicht bergab ging,
hatte mir der schwere Rucksack wahrscheinlich ebenso wie meine negativen
Gedanken noch einen Schubs dazu gegeben.
Das war also mein erstes richtig negatives
Erlebnis auf dem Jakobsweg und doch wurde es gleich wieder mit Glück
kompensiert, nämlich mit meinen zwei Schutzengeln namens Charlotte und Madlen .
Wie sagte doch Rocky Balboa aus der
berühmten Boxerfilmreihe einmal: „Es kommt nicht darauf an, wie viel du austeilen
kannst. Es kommt darauf an, wie viel du einstecken und weiterkämpfen kannst.“
Wie wahr!
Ich steckte meine Kopflandung ein und
versuchte erst einmal weiterzulaufen, froh, wenigstens einen Hut zu haben, der
meinen angeschlagenen Kopf etwas vor der heißen Sonne schützte, und froh, dass
es anscheinend nur oberflächliche Verletzungen waren. Damit mir das nicht mehr
passieren konnte, steckte ich nun die Schnürsenkel in die umgeklappten
Strümpfe. Ich hatte nämlich sonst immer lange Hosen angehabt, deshalb war mir
das Problem vorher nicht aufgefallen. Wie oftmals im Leben hatte auch hier
anscheinend eine kleine Ursache eine große Wirkung!
Im nächsten Ort machten wir erst einmal
eine Pause, um den Schreck zu verdauen und endlich meine Stirn zu kühlen.
Vor einem kleinen Café saßen schon eine
Menge anderer Pilger, darunter einige Bekannte. Die meisten kamen wie wir aus
Logroño, das nun dreizehn Kilometer zurücklag, und wollten heute noch das
siebzehn Kilometer entfernte Nájera erreichen, so wie wir es ursprünglich auch
vorgehabt hatten. Ich überlegte hin und her, aber durch meinen Unfall war es
wohl besser für mich, mich nicht zu überanstrengen. Schweren Herzens beschloss
ich, meine zwei lieb gewordenen Begleiterinnen ziehen zu lassen, denn sie
standen etwas unter Zeitdruck, weil sie pünktlich in Burgos sein wollten, und
ich wollte nicht, dass sie auf mich Rücksicht nehmen mussten.
Wir hofften, uns vielleicht in Santiago
noch einmal zu treffen, da Madlen Charlotte bei ihrer
Ankunft dort abholen wollte. Die Flugreisen mit Ryan-Air waren von London so
günstig, dass es für Madlen kein Problem darstellen
würde, noch einmal nach Spanien zu kommen. Vielleicht traf ich ja auch
Charlotte unterwegs noch mal. Wer weiß? Es war alles möglich. „Adiós, buen
camino, my friends !“ Nach
einer herzlichen Verabschiedung hieß es wieder einmal loszulassen, um weiter zu
gehen, und es fiel uns nicht ganz leicht.
Ein älterer Mann namens Walter, der meinen
Unfall miterlebt hatte, bot mir gleich an, mich zu begleiten, falls es mir
unterwegs nicht gut gehen würde. Das fand ich sehr nett, aber ich wollte lieber
allein weitergehen. Heute waren sowieso so viele Pilger unterwegs, dass ich
kaum allein sein würde.
Die nächsten Kilometer verliefen aber doch
recht anstrengend für mich. Mein Kopf brummte und meine Knie schmerzten.
Der Weg verlief die meiste Zeit fast
schattenlos neben der Nationalstraße und führte teilweise sogar durch eine
Straßenbaustelle, wo zwar nicht gearbeitet wurde, aber der Untergrund sehr
uneben und unangenehm zu begehen war. Der Lärm der Straße und die Sonne
verstärkten noch die unangenehmen Gefühle in meinem Kopf und ich war froh, als
endlich ein gelber Pfeil in die Felder zeigte, Richtung Ventosa, dem nächsten
Ort.
Bald fand ich auch ein ruhiges, schattiges
Plätzchen, wo ich verschnaufen konnte. Ich saß am Wegrand im Gras neben einem
kleinen Bach und kühlte meine Stirn, während einige Pilger vorüberliefen. Aber
es gab niemanden, der nicht stehen blieb und nach meinem Befinden fragte. Das
war sehr schön zu erleben.
Da kamen die deutschen Jugendlichen vorbei,
wobei mir ein hübsches Pärchen schon mehrmals aufgefallen war. Das Mädchen
hatte lange schwarze Haare, sah immer chic aus, war aber gar nicht eingebildet,
sondern offen und freundlich. Dabei hatte sie große Mühe, mit den langen Beinen
ihres Freundes und denen der anderen Jungs mitzuhalten. Ich wusste, dass sie
schon lange mit schmerzhaften Blasen lief, es mal mit Sandalen, mal mit
Wanderschuhen probierte. Eigentlich wollte sie gern mal einen oder mehrere Tage
Pause machen, aber bis jetzt hielt sie tapfer täglich durch. Die Jungs wollten
auch heute noch bis Nájera und da war die Kleine nicht zu beneiden.
Dann kam das Ehepaar aus Kempten, das schon
an die siebzig Jahre alt war. Sie liefen langsam, aber stetig. Der drahtige
bärtige Mann hatte eine freundlich-zurückhaltende, aber bestimmende Art. Die
Frau war recht kräftig und atmete schwer. Man
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