Das Leben in 38 Tagen
und Opa nahmen dort
Platz und unterhielten sich lautstark. Es herrschte ein Gewimmel und ein Lärm wie auf einem Volksfest. Als ich schon an der
Gaststätte vorbeilaufen wollte, sah ich auf einmal Irene, Edith und Simone, die
nacheinander hier eingetroffen waren, und gleich kam der Wirt heraus und
forderte uns auf, doch seinen Wein zu kosten. „El vino de Rioja muy bien, muy bien aqui!“ — der
Rioja-Wein ist sehr gut hier! -
Wir tranken ja alle am Abend gern ein
Gläschen, aber in der Mittagzeit, wo wir noch einige Kilometer vor uns hatten,
wollten wir lieber nur Cola, Wasser oder Kaffee trinken. Der Wirt gab nicht auf
und brachte einfach für jeden von uns ein Glas wohlschmeckenden Rosé-Wein, den war
nicht bezahlen brauchten — „no pagar , por favor !“ — und alle Männer an
der Bar freuten sich, als wir den Wein schließlich lobten und ihnen
zuprosteten. Nun strahlte der Wirt übers ganze Gesicht, und obwohl er wirklich
genug zu tun hatte, war es ihm sehr wichtig, dass wir Pilger seinen Wein
gekostet hatten.
Wir „einsamen“ Pilgerfrauen fühlten uns
hier angenommen und herzlich willkommen. Beim Essen an einem Tisch vor der Tür
unterhielten wir uns über die Mentalität der Spanier und ihre Bräuche, darunter
die Messe zur Mittagszeit und den anschließenden gemeinsamen Barbesuch. Dabei
wurden Jugenderinnerungen wach, als wir uns früher auch regelmäßig nach dem
sonntäglichen Kirchgang in einer Gaststätte zum Frühschoppen trafen. Dies
betraf aber nur Männer und Jugendliche, während die Frauen und Mütter zu Hause
das Mittagessen vorbereiteten, was eigentlich sehr ungerecht war. Dieser Brauch
ist in Deutschland sehr zurückgegangen, wie überhaupt die Restaurant- oder
Kneipenbesuche, besonders auf dem Land, sehr zurückgegangen sind. Die
Gaststätten haben heute viel mehr zu kämpfen als früher und ich glaube nicht,
dass es nur daran liegt, dass die Menschen weniger Geld haben. Eher wird das
Geld mehr zusammengehalten, für ein späteres Leben gespart (die Deutschen haben
mit die höchsten Sparkonten!) oder es wird mehr für die eigenen vier Wände
ausgegeben, wo man sich dann im Fernsehen anguckt, wie andere Leute leben,
anstatt selbst zu leben, worunter wieder das Gemeinschaftsgefühl leidet. Es
zählt mehr das Haben als das Sein, aber das spanische
Sein gefällt mir persönlich besser. „Leben und leben lassen“, das ist hier die
Devise!
So wohl wir uns hier auch fühlten mitten in
dem Kontrast zwischen der ruhigen samstäglichen Dorfstraße und dem schäumenden
Leben in unserem Rücken, irgendwann hieß es wieder „Rucksack aufnehmen, Schuhe
zubinden, Stöcke in die Hand nehmen“ und weiter ging es.
Das war ja auch das Schöne und Interessante
an diesem Weg, dieser Wechsel zwischen Ausruhen und Anstrengung, und ich
staunte immer wieder, wie schnell man sich erholen konnte. Selbst nach meinem
Sturz gestern hatte ich kaum Probleme mit meinen Beinen, obwohl meine Knie
durch die Blutergüsse schon etwas geschwollen waren.
Wir liefen auch weiterhin jeder für sich
und es folgten zehn Kilometer, die uns alles abverlangten. Der Weg verlief fast
schattenlos mitten durch die Felder, so weit man
sehen konnte. Es war auffallend, dass es kaum Bäume und Sträucher dazwischen
gab. Wahrscheinlich hatte man sie beim Anlegen der Felder einfach umgemacht,
weil sie störten. Nur einmal durchfloss ein Bach den Weg, wo man sich unter
Bäumen ausruhen konnte, ansonsten ging es wieder fast nur bergauf und ich war
bald am Ende meiner Kräfte angelangt. Vor allem sah man kein Dorf in der Nähe
und man hatte kein Gefühl, wie weit man noch gehen musste. Erst als ich oben
auf dem Hügel angekommen war, sah ich ein paar Häuser. Endlich! Die Sonne
brannte und mein Kopf drückte, die Füße und die Schultern schmerzten. Ich hatte
nur noch einen Wunsch: duschen und mich in einem kühlen Raum hinlegen.
Die Wegweiser widersprachen sich nun: Auf
einem stand: „Albergue 2 Kilometer“ und Pfeil nach rechts, nach etwa hundert
Metern stand: „Albergue no“ und etwas später: „Albergue“ durchgestrichen. In
meinem Reiseführer gab es ebenfalls widersprüchliche Angaben. Da aber mein
Gefühl unbedingt herausfinden wollte, ob es diese Österreicherin gab, ließ ich
das neue Dorf links liegen und ging nach rechts Richtung Kirchturm und altes
Dorf. Kein Pfeil war mehr zu sehen, aber als ich mitten in dem alten Dorf
stand, das einen auffallend ärmlichen Findruck im
Gegensatz zu den Dörfern bisher machte, sah ich
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