Das Leben in 38 Tagen
erste Lektion?
Auf einmal war mein Kopf viel leichter
geworden und dankbar half ich Jutta nach dem Duschen und Wäschewaschen beim
Vorbereiten des Abendbrotes. Dabei erzählte sie mir auf meinen Wunsch hin aus
ihrem Leben. Sie hatte Bühnenbild in Wien studiert, an verschiedenen Theatern
gearbeitet und sich dann aus einer Laune heraus entschlossen, nach Argentinien
zu gehen, obwohl sie bis dahin kein Spanisch konnte. In Buenos Aires lernte sie
ihren späteren Mann kennen und eröffnete mit ihm ein eigenes Theater. Nach
fünfzehn Jahren in Argentinien lief sie den Jakobsweg das erste Mal, um
Klarheit in ihr nicht mehr befriedigendes Leben zu bekommen. Daraufhin trennte
sie sich von ihrem Mann und zog zurück nach Österreich.
Als sie später den Jakobsweg das zweite Mal
lief, reifte in ihr der Wunsch, ihren Beruf aufzugeben und als Hospitalera in
Spanien zu leben. Dazu muss man nur zwei Bedingungen erfüllen: Erstens muss man
selbst wenigstens einmal den gesamten Weg gelaufen sein und zweitens muss man
Spanisch sprechen können. Da sie inzwischen perfekt Spanisch sprechen konnte,
brauchte sie sich „nur“ noch 100.000 Euro von der Bank leihen, damit sie diese
Scheune kaufen konnte.
Hattest du keine Angst, dass du es nicht
schaffen könntest, allein?“, wollte ich wissen.
„Ach, weißt du, ich habe hier sehr nette spanische Hospitaleros kennen gelernt, die mir viele
Tipps gegeben haben und mir halfen, einen guten Anwalt und eine gute Bank zu
finden. Außerdem hatte ich einfach das Gefühl, genau das Richtige für mich zu
tun, und du weißt ja, wenn dieses Bewusstsein einmal von dir Besitz ergreift,
dann schafft man auch, was man sich vornimmt. Ich bin zuversichtlich, auch wenn
ich mein Leben lang abzahlen muss. Ich brauche nicht viel, um glücklich zu
sein.“
„Du bist eine sehr bemerkenswerte Frau, es
ist ein Geschenk, dich kennen zu lernen!“, antwortete ich und fragte mich dabei
verwundert, woher sie wissen konnte, dass ich auch schon zu dem Schluss
gekommen war, dass mit dem Bewusstsein, etwas Richtiges zu tun, alles viel
leichter geht.
Jutta hatte sich in der oberen Etage
eingerichtet und sie schien wirklich mit dem sehr einfachen Leben hier
zufrieden zu sein. Ich bewunderte ihre ruhige, aber bestimmte Art. Sie schien
ihren Weg gefunden zu haben, und wie viele Menschen können das schon von sich
behaupten?
Beim gemeinsamen leckeren Abendessen mit Vorsuppe , Nudeln und Gulasch sowie zwei verschiedenen
gemischten Salaten langten wir alle ordentlich zu. An den glänzenden Augen und
geröteten Gesichtern sah man, wie wohl sich alle hier fühlten. Es war ein
Glück, diese besondere Herberge mit dieser interessanten Frau gefunden zu
haben. Und wieder einmal empfand ich es als kleines Wunder, gerade einen Tag
nach meinem Sturz hier eingetroffen zu sein und Juttas hilfreiche und weise
Worte zu hören und ihre Fürsorge zu spüren.
Gerade als wir zufrieden feststellten, dass
heute wir Frauen unter uns waren, und uns schon auf eine geruhsame und schnarchfreie Nacht freuten, klopfte es an der Tür. Es war
inzwischen 20.00 Uhr. Das würde doch wohl kein Pilger mehr sein?
Herein kam ein verschwitzter und
zerzauster, sehr gut aussehender Radfahrer mit lachendem, offenem Gesicht und
fragte nach einem freien Bett. Patrick aus Frankreich war schon fünfzig Jahre
alt, was er gleich erzählte, wohl wissend, dass wir ihn viel jünger geschätzt
hatten. Er sprach gut Deutsch und nahm uns alle gleich mit seinem Charme
gefangen.
„Oh là là , lauter schöne Frauen. Was für ein Glück für mich! Darf
ich bei euch schlafen?“, fragte er mit typisch smartem französischem Akzent. Er
war kein bisschen verlegen, nur auf Frauen zu stoßen, im Gegenteil, er genoss
die Aufmerksamkeit.
„Ich habe auch ein Zelt dabei, ich kann
draußen schlafen, wenn es euch nicht recht ist.“
Wir sahen uns alle an. Was sollten wir
machen? Endlich sagte Jutta: „Wenn du nicht schnarchst, darfst du hier drin
schlafen. Es sind noch zwei Betten frei!“
Lachend antwortete er, dass er zwar nicht
schnarchen würde, aber dafür nachts mehrmals auf die Toilette müsste und
deshalb unten schlafen wollte. Jutta stellte mit ihm sein Fahrrad unter und wir
warteten gespannt, wie er sich weiter verhalten würde.
Da wir gerade fertig mit Essen waren,
musste er sich mit den Resten begnügen, aber es schien ihm zu schmecken, obwohl
er dabei nicht aufhörte, zu reden. Er betrachtete es wohl als seine Aufgabe,
uns zu unterhalten, und dabei leuchteten
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