Das Leben in 38 Tagen
seine braunen Augen, aber er konnte
überraschenderweise auch sehr ernst sein. Er erzählte, dass er als Reiseleiter
und Bergführer arbeitete, wobei er in den Reisebussen die alten Leute immer zum
Lachen bringen würde.
Er wohnte in den französischen Pyrenäen und
hatte eine Frau und ein Kind, welche ihn vor einiger Zeit verlassen hatten,
weil er immer fremdging. Er erzählte freimütig, dass er Frauen bis dahin nur
als Sexobjekte betrachtet habe. Erst seit er allein bei einer älteren Frau zur
Untermiete wohnte und diese ihn wie einen Sohn und nicht wie einen potentiellen
Liebhaber behandelte, arbeitete er daran, sich zu ändern. Ich hätte mich gern
noch weiter mit ihm unterhalten, aber unsere liebe Herbergsmutter wies uns
darauf hin, dass um 22.00 Uhr Nachtruhe sein sollte.
Da sich Dusch- und Toilettenkabine im
gleichen Raum befanden, war es schon sehr lustig, alles zu beobachten und
sämtliche Geräusche zu hören. Nach dem Abwaschen machten wir uns langsam
bettfertig und Patrick fing auf einmal an, mit nacktem Oberkörper und nur mit
der kurzen Radlerhose bekleidet, seine Dehn- und
Streckübungen zu machen, wobei er die Balken mitten im Raum zu Hilfe nahm. Die
beiden österreichischen älteren Frauen verkrochen sich gleich in ihre Betten,
während Simone, Irene und ich den muskulösen und durchtrainierten Körper von Patrick
bewunderten.
Mit seinen langen braunen Locken und den
strahlenden Augen sah er aber auch wirklich zum Anbeißen aus. Ich konnte
verstehen, warum er den Frauen nicht widerstehen konnte; weil sie ihm nicht
widerstehen konnten. Oh, oh!
Zum Einschlafen hatte Jutta eine Vivaldi-CD
eingelegt und eine Kerze angezündet. Durch die leise Musik und das schummrige
Licht entstand eine wunderbar heimelige Atmosphäre, garniert mit Patricks
nacktem Oberkörper, der das Bett neben mir belegt hatte und ohne Decke schlief.
Ich fühlte mich unwahrscheinlich glücklich und reich belohnt nach meinem Pech
gestern, und genauso wachte ich am Morgen wieder auf, mit klassischer Musik ab
7.00 Uhr und Kerzenschein. Der Himmel in einer alten, einfachen Scheune, weil
sie mit Liebe gefüllt war. Mit der Liebe Juttas zu ihrer Arbeit, und die
strahlte auf alle anwesenden Pilger aus! Kein materieller Reichtum kann das
erreichen, was ein liebevolles Herz erreichen kann! Und nicht genug damit, dass
sie uns so freundlich weckte und uns das Frühstück vorbereitete, nein, sie
versorgte nun auch noch die Problemfüße der Pilger und meine Stirn. Zum ersten
Mal sah ich nun meine Wunde und sie sah nicht so schlimm wie mein Gesicht aus.
Jutta gab mir noch ein paar Tropfen Bachblüten (konnte ja nichts schaden!) auf
die Zunge und wir ließen die Wunde offen, damit sie besser heilen konnte. An
meinen Fußsohlen ließ sich zwar langsam die Haut abziehen, weil die Blasen
aufgegangen waren, aber was machte das schon! Gut verbunden und mit den schönen
Erlebnissen in meinem Kopf konnte ich die nächsten Kilometer angehen.
Es fiel uns allen schwer, Lebewohl zu
sagen, da wir ja wussten, dass wir uns höchstwahrscheinlich nie wieder sehen
würden. Wir umarmten uns herzlich und spendeten mehr als üblich in die „ Donativo “-Büchse. Ich war mir sicher, dass Jutta mir sehr
geholfen hatte, als ich mich schlecht fühlte, und dass ich sie nicht vergessen
würde. Hoffentlich kann sie ihre Träume weiter leben und ihre Ziele erreichen,
ohne an der Profitgier der zunehmenden Kommerzialisierung auch des Jakobsweges
zu zerbrechen.
An diesem Morgen hätte ich gern einen
Fotoapparat dabeigehabt, um Jutta, Patrick und die anderen festzuhalten, aber
in meinen Gedanken sehe ich sie noch heute in der Morgensonne vor der alten
Scheune mit den kleinen Fensterchen, der Bank und den Blumen vor dem Eingang
stehen und winken...
12. Santo Domingo de la Calzada und andere
Überraschungen
Wir vier deutschen Frauen beschlossen,
zusammen in das nur fünf Kilometer entfernte berühmte Santo Domingo de la
Calzada zu laufen. Nachdem wir mit Cirueña das eigentlich erste hässliche Dorf
auf unserer Pilgerreise hinter uns gelassen hatten, sahen wir die kleine, bunte
Stadt mit ihren Kirchtürmen, durchzogen von einem Fluss, schon im
sonnendurchfluteten Tal vor uns liegen. Der Weg führte nun fast parallel zur
Landstraße genau darauf zu, aber da heute Sonntag war, störte kaum ein Auto die
morgendliche Ruhe. In unseren Gedanken konnten wir den gestrigen Abend in Ruhe
ausklingen lassen und uns an dem strahlenden Frühlingsmorgen mit einem
idyllischen Blick
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