Das Leben in 38 Tagen
gefiel. Die beiden
Engländerinnen wollten mir nun unbedingt noch die alte, geschichtsträchtige
Herberge zeigen, in der sie übernachtet hatten und in deren Hof die Hühner
gehalten wurden. Dabei versuchten sie mich zum wiederholten Mal zu überreden,
gemeinsam mit ihnen mit dem Bus nach Burgos zu fahren und anschließend mit
Charlotte weiterzulaufen, aber das wollte ich nicht. Ich versprach Charlotte,
so schnell wie möglich weiterzulaufen, und wenn sie dafür etwas langsamer
laufen könnte, dann würden wir uns vielleicht noch einmal treffen. „ Maybe it’s possible !“
- vielleicht ist es möglich!
Anschließend luden mich die beiden in ein
Café ein und wir genossen unsere „Henkersmahlzeit“ bei Kaffee und Kuchen. In
Santo Domingo spürte man, dass alles auf Pilger ausgerichtet war. Überall gab
es Geschäfte mit Souvenirs, die man meistens sowieso nicht tragen konnte, oder
mit Utensilien für den Pilgerweg. In dem Café mit eigener Bäckerei konnte man
Muscheln, Fische und sogar den heiligen Jakobus in Schokoladenversion kaufen
oder auch verschiedene Pralinen, Kuchen oder Plätzchen, mit lustigen Pfeilen
und Muscheln verziert, kosten. Nachdem wir die gemeinsame Zeit nicht mehr
länger ausdehnen konnten und einige leckere Süßigkeiten ausgetauscht hatten,
liefen wir noch ein Stück zusammen in Richtung Busbahnhof, ehe es dann wieder
einmal Abschied nehmen hieß. Ob man sich irgendwann wirklich daran gewöhnen
konnte?
Ich verließ die Stadt über den Fluss Oja , der der Region Rioja seinen Namen gegeben hatte. Ein
freundlicher junger Mann, den ich nach dem Weg gefragt hatte, lief noch eine
ganze Weile mit mir, um mir eine Abkürzung durch die Felder zu zeigen. Leider
konnte ich mich mit meinen winzigen Spanischkenntnissen nicht mit ihm
unterhalten und so kehrte er nach einer Weile wieder um. Vielleicht wollten mir
heute alle helfen, weil es ein Sonntag war, denn als ich auf dem Feldweg lief,
den mir der junge Spanier gezeigt hatte, hielt auf einmal ein Auto neben mir
an. Diesmal war es ein älterer Mann, der mich mitnehmen wollte. Nun fand ich es
sogar gut, dass ich kein Spanisch verstand, denn natürlich wussten die
Einheimischen, dass die Pilger laufen wollten, und so fertig sah ich heute doch
noch gar nicht aus, oder?
Ich war jedenfalls froh, diese Abkürzung
durch die Felder gefunden zu haben und nicht weiter neben der Nationalstraße
laufen zu müssen. Leider gab es hier wieder kaum Schatten und die Sonne brannte
inzwischen ganz schön. Nach gut zwei Stunden anstrengenden Laufens erreichte
ich Grañón, ein kleines Bergdorf, welches durch seine originelle Pilgerherberge
direkt oben im Kirchturm bekannt ist. Gern hätte ich mir das einmal angeschaut,
aber die Holztür unten, die zum Kirchturm hinaufführen sollte, war leider verschlossen.
Es war einfach noch zu früh am Tag. In der Siestazeit sah man kaum Menschen auf der Straße und so lief ich nach einer Rast im
Schatten neben dem Dorfbrunnen weiter.
Inmitten von nun schier endlos
erscheinenden hügeligen Feldern fand ich mich plötzlich an einer Weggabelung
wieder, wo ein riesiges Schild mit einer Karte des Camino Francés darauf
hinwies, dass ich nun die Grenze zwischen Rioja und Kastilien-León
überschritten hatte. Schade, dass der Weg durch das anmutige Rioja-Land hier
schon zu Ende war, denn inmitten der Weinberge hatte das Laufen Spaß gemacht,
ohne von dem besonders guten Rotwein zu reden! Aber nun hatte ich auch schon
230 Kilometer zurückgelegt und das machte mich ein bisschen stolz. Nur noch
läppische 600 Kilometer bis Santiago! Vor mir lagen die Oca-Berge, deren
schneebedeckte Gipfel ich schon seit ein paar Tagen gesehen hatte. Die Dörfer
machten jetzt passend zur Landschaft mit den weiten braunen Feldern und wenig
Grün einen zunehmend ärmlichen Eindruck. Man sah öfter leer stehende oder gar
eingefallene Häuser. Da sich die Landwirtschaft nicht lohnte, verließen viele
junge Menschen ihre Dörfer und gingen in die Städte oder gar ins Ausland.
Traurig anzuschauen waren sie manchmal
schon, die kleinen, halb verfallenen Dörfer, die wir auf staubigen Feldwegen
durchschritten, gerade wenn oft überdimensionale Kirchen auf eine bessere
Vergangenheit schließen ließen. Ebenso traurig fand ich blühende Obstbäume,
wenn sie zwischen saftigem Gras und den Resten besonders widerstandsfähiger ehemals
angebauter Kräuter und Blumen inmitten der Gärten um die verlassenen Wohnhäuser
mit ihren einstürzenden Mauern standen.
Aber wer
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