Das Leben in 38 Tagen
ausgiebigen Rast in einer dieser Bars, wo wir auch den Berliner
wieder getroffen hatten, war es langsam Nachmittag geworden.
Der Regen hatte aufgehört, und obwohl die
Wolken noch sehr tief hingen, waren wir nun fest entschlossen, nach den heute
schon gelaufenen zwanzig Kilometern noch einmal 11,5 Kilometer anzuhängen!
Heute sollte der historische Tag für Simone und mich sein! Heute wollten wir es
wissen! Auch wenn die Übernachtung in diesem einladenden Ort noch so sehr
lockte! Also besiegten wir den inneren Schweinehund, zogen unsere Schuhe wieder
an und nahmen unsere Sorgen auf den Rücken. Gleich hinter dem Ort überquerten
wir in einem kleinen Tal den wasserreichen Fluss Pisuerga und begannen bald
darauf, eine Anhöhe zu erklimmen. Obwohl wir uns auf der 800 Meter hohen
Hochebene, der Meseta, befanden, galt es doch auch hier, einige
Höhenunterschiede zu bewältigen. Oben angekommen, belohnte uns ein herrlicher
Rundumblick für die Mühe. Von hier sah selbst die Meseta nicht eintönig aus,
sondern bildete mit den verschiedenfarbenen Feldern,
Wiesen, dem Fluss und dem Ort Castrojeriz mit seiner Burg ein harmonisches,
beeindruckendes Mosaik, wie es nur die Natur schaffen kann. Immer wieder
erlebte ich es als ein erhebendes Gefühl, auf einer Anhöhe zu stehen und den
zurückgelegten Weg überschauen zu können. Dies weckte neue Kräfte und
Abenteuerlust.
Leider begann es hier oben schon wieder zu
regnen und so konnten wir nicht lange den Ausblick genießen, sondern nahmen so
zügig wie möglich den Abstieg und den weiteren Weg durch die Felder in Angriff.
Gut, dass wir nicht geahnt hatten, wie schwierig unser Camino heute noch sein
würde!
Auf den Wegen stand das Wasser nun
knöcheltief und der Lehm blieb in dicken, schweren Schichten an den Schuhen
kleben. Immer mehr Kraft erforderte es, die ständig schwerer werdenden Schuhe
aus dem zähen Schlamm zu ziehen. Neben dem Feldweg war der grüne Weizen schon
niedergetreten. Was blieb uns anderes übrig, als das Gleiche zu tun, wie
anscheinend viele Pilger vor uns? Im Weizenfeld lief es sich ein klein wenig
besser, aber was bisher noch einigermaßen trocken geblieben war, wurde nun
endgültig nass, denn der Weizen stand bis zu den Knien, und was niedergetreten
war, bestand nur noch aus grünem Lehmschlamm! Entschuldigung, liebe Bauern,
aber was sollten wir machen? Selbst mit Gummistiefeln wäre es kaum möglich
gewesen, kilometerweit auf dem Weg weiterzulaufen!
Zu guter Letzt verliefen wir uns auch noch.
Ein zweideutiger Wegweiser und fehlende gelbe Pfeile (Wo waren nur die
Wegsteine mit ihren Muscheln geblieben? Bäume gab es auf den Feldwegen sowieso
nicht!) führten uns zunächst auf einen etwas besseren Weg, der aber
letztendlich nirgendwo endete. Mittlerweile war unsere Laune deutlich gesunken
und die nun tatsächlich hinter den Wolken hervorlugende Sonne wollte sich wohl
nur noch über uns lustig machen! Wie verloren standen wir mit unserem schweren
Gepäck inmitten endloser Felder im tiefen Schlamm. Ich war nun wirklich froh,
dass ich hier nicht allein gelandet war.
Es blieb uns nichts weiter übrig, als
einfach in die vermutete Richtung, dahin, wo die vereinzelten Sonnenstrahlen
herkamen, weiterzulaufen, denn ein Zurück gab es für uns nicht. Schließlich
sahen wir doch in der Ferne eine Baumallee, die auf eine Straße hindeutete, und
wir liefen mühsam quer über die Felder darauf zu, immer darauf bedacht, nicht
auszurutschen und in den Schlamm zu fallen. Dabei muss man sich vorstellen,
dass wir schon mindestens 25 Kilometer im Regen und mit den schweren Rucksäcken
und Schuhen in den Beinen hatten! Als wir endlich wirklich an einer Landstraße
ankamen, waren wir so fertig, dass wir uns erst einmal auf den nächsten Wegstein setzten und die Rucksäcke einfach danebenstellten.
Obwohl wir nicht wussten, wo wir uns überhaupt befanden, waren wir doch so
froh, endlich wieder auf einer festen Straße angekommen zu sein!
In der Ferne konnte man ein paar Dächer
erkennen, aber welcher Ort mochte das wohl sein? Plötzlich hielt ein Auto direkt
vor uns an und ein älterer Spanier wollte uns mitnehmen. „Es éste el camino a Itero de la
Vega?“ - Ist das der Weg nach Itero de la Vega ?, -
fragte ich vorsichtig.
Der freundliche Fahrer bejahte dies und
freute sich über unsere sichtliche Erleichterung. Endlich wieder auf dem
richtigen Weg! Wir bedankten uns bei dem netten Spanier, aber mitfahren wollten
wir nicht. Das letzte Stück entlang der Landstraße
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