Das Leben in 38 Tagen
Als ich endlich an der Kirche angelangt war, stand schon
eine Gruppe Franzosen in deren Schutz. War die Herberge etwa schon voll?
Das uralte Haus neben der Kirche wirkte auf
mich wie ein Schuppen aus graubraunen Natursteinen. Als ich eintrat, schlug mir
eine Dunstmischung aus Schweiß, ungelüfteten
Räumen, feuchten Schuhen und Kleidern
entgegen. Überall hingen die nassen Sachen und in den drei großen Schlafräumen
waren nur noch einzelne Betten frei. Ich sah nur potenziell oder wirklich
schnarchende Männer in den Betten. Die kleinen Fenster waren geschlossen und
angelaufen und alles wirkte ungemütlich, dunkel und überfüllt. Als ich in
meinen triefnassen und schmutzigen Sachen gerade die Treppe wie zu einem Keller
hinuntergegangen war, sah ich dort die drei Irinnen in einer kleinen Küche mit
Aufenthaltsraum werkeln.
„Hello, Conny , how are you, do you have a bed
here? ”, fragten sie , erfreut , mich zu sehen . „Oh yes, but I
don’t know if I will sleep here. What about the showers ?” Als sie erzählten, dass sie nicht geduscht
hätten, weil das Wasser in den Duschen nur schlecht lief, stand für mich fest,
dass ich hier nicht schlafen wollte.
„I will go to the other auberge , here it’s not so good !”, sagte ich,
auf meine nassen Sachen zeigend. Die drei hatten sich schon eingerichtet,
konnten aber gut verstehen, dass ich wieder ging. Ich war froh, eine andere
Möglichkeit zu haben, und tatsächlich, ich hatte wieder einmal
unwahrscheinliches Glück! Der junge Mann trat schon aus der Tür, als er mich
kommen sah, und führte mich gleich in eines der unscheinbaren grauen Häuser,
genau gegenüber von einem kleinen Lebensmittelladen. Und welche Überraschung!
In dem großen Raum gleich hinter der Eingangstüre brannte ein warmes
Kaminfeuer! Da konnte mich auch der wahre Preis für mein Einzelzimmer von
dreißig Euro nicht zurückhalten! Ralf, mein lieber Mann, hatte mir ja gestern
erst am Telefon gesagt, dass ich mir ruhig etwas leisten sollte! Und gleich
heute würde ich das tun, obwohl ich ja eigentlich auch sparen wollte! Aber ohne
Kompromisse geht es eben doch nicht ganz! Ich musste mich immer wieder
entscheiden und das war auch gut so.
Und die Entscheidung brachte mir einen schönen
Abend. Es war doch herrlich, gerade bei diesem strömenden Regen auf diese
gemütliche Privatherberge gestoßen zu sein und noch dazu das letzte freie Bett
zu erhalten! Meine restlichen Zweifel bezüglich des jungen Mannes wurden
ausgeräumt, als ich die anderen Pilger traf, die hier übernachteten und die
sich auch sehr positiv äußerten. Nachdem es mir letzte Nacht in Burgos schon so
gut gegangen war, sollte es mir also heute auch nicht schlechter ergehen. Womit
hatte ich das verdient?
Ich genoss ausgiebig die heiße Dusche in
meinem Einzelzimmer und stellte danach meine Schuhe in einer schönen Reihe
neben die der anderen Pilger um den Kamin und hängte meine gewaschenen Sachen
über die Stühle. Dann ließ ich mich auf dem Sofa vor dem prasselnden Kaminfeuer
nieder, streckte meine Beine aus und verzehrte voller Appetit meinen leckeren
Hamburger. Draußen lief der strömende Regen die Scheiben hinunter und ich saß
trocken und warm. Konnte man glücklicher sein?
Man konnte! Mit netten Menschen! Gerade kam
das Kemptener Ehepaar die Treppe herunter und freute sich sichtlich, mich
wieder zu treffen. Es gab ein großes Hallo, während wir uns erst einmal
begeistert über unsere zwischenzeitlichen Erlebnisse austauschten, ehe die
beiden sich zum Essen verabschiedeten. Ein Ehepaar aus dem Ruhrgebiet, eine
kräftige ältere Kanadierin, eine französische Frau mit ihrer Mutter sowie ein
sehr sympathischer ehemaliger Berliner vervollständigten die heutige
Schlafrunde.
Der geschäftstüchtige, freundliche Hospitalero
gab uns seine Handynummer, falls es ein Problem geben sollte, und versprach,
zum Frühstück wieder hier zu sein. Er wohnte in Burgos bei seiner Freundin und
zeigte uns stolz das Foto seiner kleinen Tochter. Der junge Mann hatte
tatsächlich nur gewartet, bis er alle Zimmer vermietet hatte. So
unterschiedlich waren die Menschen und die Preise. Für ein Frühstück wollte er
noch mal fünf Euro berechnen, aber das war uns schon fast egal. Wir alle
fühlten uns froh und dankbar, bei diesem Wetter nicht noch 10,5 Kilometer bis
zum nächsten Ort gehen zu müssen, und die Gemeindeherberge hatte ja auch nicht
gerade zum Bleiben eingeladen!
Als die anderen alle zum Essen in ein
Restaurant gegangen waren,
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