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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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der
kahlen Felder und wartete auf Pilger. Überrascht entnahmen wir seiner Mimik und
Gestik, dass er uns fotografieren und uns später das Foto nach Hause schicken
wollte. Dazu brauchte er von jedem die Adresse, die wir in ein kleines Buch
eintragen sollten. Darin konnten wir schon Hunderte von Adressen nachlesen.
Elli zeigte sich begeistert, dass ein Foto von uns dreien geknipst werden
sollte.
    Simone und ich machten den kleinen Spaß
gerne mit, obwohl ich mich fragte, warum der alte Mann gerade hier und nicht in
der Nähe eines Dorfes stand. Das war schon sehr komisch. Als wir gehen wollten,
zeigte er auf meinen Mund und auf sich. Er wollte noch ein Küsschen von mir! Da
ich gehört hatte, dass es Glück bringen sollte, von einem Pilger geküsst zu
werden, tat ich ihm den Gefallen und er strahlte übers ganze Gesicht.
    Dann konnte es mir ja auch nur Glück
bringen! Wahrscheinlich hatten es dem alten Charmeur meine blonden Haare
angetan und wir verabschiedeten uns lachend und winkend.
    Simone und ich legten nun in stillem Hinvernehmen eine schnellere Gangart ein und richtig —
schon nach kurzer Zeit ging unserer erzählwütigen Begleiterin die Puste aus und
sie musste uns schweren Herzens ziehen lassen. Endlich wieder Ruhe und
schweigendes Laufen!
    In dem kleinen Dorf Boadilla del Camino mit seiner hoch gelobten Herberge wollten wir noch einmal zusammen
mit den anderen Frühstücken und dann jeder für sich weitergehen. Wir würden ja
sehen, ob wir uns noch einmal treffen sollten. Es war alles möglich, aber es
hatte doch jeder seinen eigenen Rhythmus und seine eigenen Vorstellungen. Damit
sprachen mir die anderen aus dem Herzen. Unsere Adressen hatten wir schon
getauscht und Simone und Edith tauschten nun auch noch ihre Handynummern. Die
beiden wollten sich in Santiago treffen, um dann zusammen weiter bis zum Kap
Finisterre zu laufen, dem berühmten „Ende der Welt“, das an der westlichen
Atlantikküste liegt. Ich bewunderte die 66-jährige Edith! Sie hatte in zwei
Monaten dann fast 3000 Kilometer mit dem Fahrrad und zu Fuß zurückgelegt! Was
für eine Wahnsinnsleistung für einen Normalbürger! Und das allein! Sie konnte
man wirklich bewundern, nicht uns!
    Ich war froh über die Zeit, die ich mit ihr
und den anderen verbracht hatte, aber ich sehnte mich auch nach dem besonderen
Gefühl, wieder allein zu laufen. Nur dann konnte ich so viel nachdenken, wie
ich wollte, mit mir selbst reden oder vor mich hin singen. Wir verabschiedeten
uns also wieder einmal und ich blieb allein im schön angelegten Garten der
Herberge von Boadilla del Camino zurück. Heute schien
sogar wieder etwas die Sonne, obwohl sich noch weiße und graue Wolken am Himmel
um die Vorherrschaft stritten.
    Von außen hatte die Herberge wie eine
Scheune ausgesehen, ähnlich den anderen ärmlichen Lehmziegelhäusern im Ort.
Aber der junge, freundliche Hospitalero und seine Eltern hatten aus dem
einfachen Innenhof eine grüne Oase mit bunten Blumen, Sträuchern und sogar
einem kleinen Swimmingpool gemacht.
    Zu meiner Freude gab es auch einen Internet-
und Telefonanschluss, was ich gleich ausprobieren wollte. Meine Schwester hatte
mir eine sehr liebe E-Mail geschrieben, über die ich erst einmal herzlich
lachen musste. Sie begann mit „Liebe starke Schwester! Ich blöder Depp bin erst
jetzt auf die Idee gekommen, dir eine E-Mail zu schreiben... ich bin sehr stolz
auf dich und vermisse dich sogar ein bisschen... ich war sehr erschrocken, als
ich von deinem Sturz gehört habe... wenn ich bis hoch zum Geiserämterkreuz jogge, kann ich ein ganz klein wenig deine Leistung nachempfinden... es braucht
ja keiner zu wissen, dass ich dann dort oben stehe und für dich bete... ich
wünsche dir viel Kraft und Mut und dass du das erreichst, was du dir
vorgenommen hast…“
    Das ging mir natürlich herunter wie Öl,
aber als ich dann die E-Mail von meinem Mann lesen wollte, funktionierte das
Internet nicht mehr und ich musste ihn anrufen. Da heute Samstag war, konnte
ich ihn zu Hause erreichen und meinen Sohn gleich mit. Voller Freude hörte ich,
was es Neues zu Hause gab, und konnte dabei auch gleich selbst meine neuesten
Erlebnisse loswerden. Wie schön ist es doch, zu spüren, dass liebe Menschen an
einen denken, sich sorgen und einen vermissen. Manchmal braucht man sogar ein
bisschen Abstand, um alltägliche Selbstverständlichkeiten wieder als etwas
Besonderes empfinden zu können!
    Mit neuer Freude wollte ich nun endlich
losgehen, als mich plötzlich

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