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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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würden wir auch noch zu Fuß
schaffen, zumal es nun endgültig zu regnen aufgehört hatte und die Sonne
tatsächlich ab und zu hervorkam. Mittlerweile war es aber schon 17.00 Uhr
geworden und wir waren nun neun Stunden unterwegs. So spät waren wir noch nie
angekommen.
    Langsam stellte sich bei uns eine Art
Galgenhumor ein. An einer Bushaltestelle, die zu einem anderen Dörfchen gehörte
packten wir erst einmal unsere Vorräte aus. Susanne hatte Rotwein in eine
Plastikflasche gefüllt und ich hatte mir in Burgos Studentenfutter,
Gummibärchen und Schokolade gekauft.
    Das hatten wir uns heute verdient! Auch
wenn wir im nächsten Ort vielleicht kein Bett mehr finden würden, egal! Heute
würden wir endlich die ersehnten dreißig Kilometer überschritten haben, und das
war ein Grund zum Feiern! Unsere Füße und Schultern schmerzten und die Beine
summten, als wir auf der Bank vor dem Bushäuschen Platz nahmen, aber unsere
Herzen fühlten sich so leicht und frei! Durch den Wein wurden wir immer
lustiger, und wir begannen alle Lieder zu singen, die uns einfielen, von „Hoch
auf dem gelben Wagen“ bis „Mein Vater war ein Wandersmann“, und zwischendurch
erzählten wir uns gegenseitig von unseren Familien.
    Ich war richtig froh, dass Simone heute bei
mir gewesen war. Allein wäre das ziemlich hart gewesen. Autos fuhren hupend
vorbei und wir winkten in der Abendsonne zurück. Wie schön war es doch, so ein
Abenteuer gut hinter sich gebracht zu haben. Heute war ich tatsächlich an meine
Grenzen gegangen. Die letzten Kilometer schlichen wir nur noch. Wir sahen
wirklich aus wie die Schweine, nass und mit Schlamm bespritzt von oben bis
unten. An den Schuhen konnte man keine Farbe mehr erkennen. Wer wollte wohl
solche Gäste aufnehmen?
    Wir träumten von einer heißen Dusche und
einem leckeren Abendbrot, als wir gegen 18.30 Uhr endlich völlig kaputt die
ersten Häuser von Itero de la Vega erreichten. Und wer stand da auf einmal wild
winkend mitten auf der Straße? Wir glaubten, unseren Augen nicht zu trauen, als
wir näher kamen. Achim, Edith und Irene freuten sich lautstark, uns zu sehen.
Das musste aber auch ein Bild gewesen sein, als wir beide völlig fertig auf der
Landstraße auftauchten. Simone und ich fühlten uns stolz wie nach einer
Weltreise, weil wir heute endlich einmal die Dreißig-Kilometer-Hürde geknackt
hatten, und das bei solch schwierigen Wegen! Die anderen hatten in Hontanas
übernachtet, dort, wo wir unser zweites Frühstück eingenommen hatten. Sie waren
echt erstaunt, dass wir so weit gelaufen waren. Und
es gab schon wieder so viel zu erzählen!
    Doch zunächst einmal brauchten wir ein Bett
und, tatsächlich, wir hatten wieder einmal Glück! Freund Zufall, das Schicksal
oder der Himmel meinten es gut mit uns! In der Gaststätte am Ortseingang, wo
die anderen schon untergekommen waren, gab es noch ein freies Doppelzimmer mit
Dusche, Toilette und frisch bezogenen Betten! Was für ein Luxus nach dem anstrengenden
Tag! Das ältere Ehepaar, das dieses Hostal betrieb, bot uns sogar an, die
furchtbar schmutzige Wäsche zu waschen und zu trocknen! Ich konnte mein Glück
kaum fassen.
    Etwas später saßen wir dann alle zusammen
bei unserem Drei-Gänge-Pilgermenü und ließen den Tag noch einmal Revue
passieren. Der Wein schmeckte zwar nicht mehr so gut wie im Rioja-Gebiet, aber
das tat der fröhlichen Stimmung keinen Abbruch. Neben mir am Tisch saß noch
eine hübsche, dunkellockige Kanadierin etwa in meinem Alter, die Carol hieß.
    Sie erzählte, dass sie mich bereits in
Zubiri gesehen hatte, als ich mit Martin Lebensmittel kaufte. Da fiel mir auch
wieder ein, dass sie damals mit einem großen, kräftigen Mann mit Brille
zusammen gewesen war und wir sogar ein paar Worte gewechselt hatten. Sie
erzählte, dass ihr Mann leider nur zwei Wochen Urlaub gehabt hatte und in
Burgos wieder nach Hause geflogen war. Auch sie hatte also genau wie ich mit
einer Begleitung die Reise begonnen und nun mussten wir beide allein
weiterlaufen, was ich zumindest ja so wollte. Carol und ich waren uns von
Anfang an sympathisch, aber wir ahnten nicht, dass wir uns noch näher kennen
lernen würden...
    Nach dem Essen setzten wir uns alle
zusammen an die Bar, bis mir auffiel, dass dem Wirt vor Müdigkeit die Augen
zufielen. Seine Frau und er schienen das alles ganz allein zu machen: das
Essen, die Bedienung, die Bar und die Zimmer. Dazu kam noch die viele tägliche
Wasche; die beiden mussten wirklich sehr fleißig sein. Obwohl sie auf

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