Das Leben in 38 Tagen
umarmen schienen. Der Weg in den Ort führte
nun leicht hinab in einer Art Steinrinne, die mich an eine Bobbahn erinnerte,
nur dass die Wände nicht glatt waren, sondern Grün durch die Steine wucherte.
Hier passte tatsächlich kein Auto hindurch. Das schien ja wirklich das Ende der
Welt zu sein und wir erwarteten hinter jeder Ecke, den schmierigen, dicken Wirt
aus Hape Kerkelings Buch zu sehen, der uns in seine
schmutzige Kneipe locken wollte.
Aber wer hätte das gedacht? Der Ort war
sauber und bot sogar zwei neue Restaurants mit Herbergen in den alten Häusern
an. Wir ließen uns nicht lange von den Schildern bitten und kehrten zu einem
heißen Kaffee, Cola und Frühstück ein. Hier trafen wir einige andere Pilger
wieder, auch der nette Berliner vom letzten Abend hatte uns bald, wie
versprochen, eingeholt. Wir frühstückten ausgiebig, bis wir die Letzten im
Restaurant waren, und diskutierten dabei über unsere heutige Laufstrecke.
Simone und ich träumten schon lange davon, einmal mehr als dreißig Kilometer zu
laufen. Immer hörten wir nur neidisch zu, wenn die anderen erzählten, welche
langen Strecken sie schon zurückgelegt hatten. Ich wartete ja immer noch auf
meine Flügel, aber heute fühlte ich mich trotz des Regens doch recht kräftig.
Schließlich hatte ich zwei gute Nächte und nun schon das zweite leckere
Frühstück hinter mir. Ob wir es heute angehen sollten? Warum wohl sonst hatte
uns Freund Zufall wieder zusammengeführt?
Also sprachen wir uns gegenseitig Mut zu
und beschlossen, heute den großen Trip zu machen. Dann liefen wir beide
zusammen den anderen hinterher. Inzwischen war aus dem strömenden Regen von
heute früh ein feiner Nieselregen geworden, der uns das Laufen eher angenehm
machte. Der Ort Hontanas hatte uns positiv überrascht, auch die Bedienung in
dem sauberen Restaurant war nett gewesen. Es war schon erstaunlich, wie sich
das Dorf scheinbar in der kurzen Zeit verändert hatte. Also auch eine positive
Nebenwirkung des Pilgertourismus und eine Chance für die Dorfbewohner...
Auf unserem weiteren Weg liefen wir nun auf
einer kaum befahrenen Landstraße entlang, da wir uns den Matsch des
eigentlichen, nebenher verlaufenden Camino nicht antun wollten. Nun gab es zu
meiner Freude auch wieder kleine bewaldete Hügel und alte Bäume entlang der
Straße. Plötzlich tauchte direkt vor uns eine Ruine auf, deren riesiger
Gewölbebogen die Straße überspannte. Wir gingen durch den beeindruckenden Bogen
hindurch und konnten daran anschließend die Reste der einstigen Halle des
ehemaligen Lepraklosters von St. Anton erkennen. In der alten Steinmauer auf
der rechten Seite sah man noch deutlich die Einbuchtungen, durch die die Pilger
früher das Essen bekamen. Heute lagen darin viele Nachrichtenzettel, mit
Steinen beschwert. Noch nie hatte ich erlebt, dass eine Straße mitten durch ein
ehemaliges Bauwerk führt. Ich empfand es anrührend und beeindruckend. Auf der
linken Seite war noch fast die gesamte Steinwand mit den leeren gotischen
Fensteröffnungen erhalten. Hier hatte man in einem kleinen Seitengebäude eine
provisorische Herberge eingerichtet, die aber nur im Sommer geöffnet hatte. In
staunender und dankbarer Erinnerung an die rührigen Mönche von St. Anton, die
dieses Kloster für die kranken Pilger des Mittelalters gebaut hatten, ließen
wir die Ruine aus dem vierzehnten Jahrhundert hinter uns.
Doch gleich hinter der nächsten
Straßenbiegung bot sich uns ein neuer imposanter Anblick. Eine märchenhafte
Burg auf einem völlig kahlen Bergkegel direkt über dem Ort Castrojeriz sah uns
entgegen. Hier machte die Meseta wirklich keinen langweiligen Eindruck, im
Gegenteil, das Laufen in dieser kilometerlangen Pappelallee erwies sich als
sehr angenehm, vor allem weil wir nicht mehr im Matsch laufen mussten und es
wenig Verkehr gab. Auch den alten, lang gezogenen Ort Castrojeriz empfanden wir
als sehr einladend.
Gleich am Ortseingang am Fuße des
Burghügels beeindruckte uns die alte Stiftskirche aus riesigen, glatten
Sandsteinquadern in ihrer Schlichtheit und gleichzeitigen Vielfalt, die von
verschiedenen Häuschen, Dächern und Türmchen herrührte. Diese Kirche passte
genau in dieses helle Sandsteindorf mit seiner Burgruine. An diesem
freundlichen Gesamteindruck änderten auch einige leer stehende und verfallene
Häuser nichts. Die Menschen begegneten uns hier besonders aufgeschlossen und
hilfsbereit. Es gab mehrere nette Bars, Herbergen und sogar ein Internetcafé.
Nach einer
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