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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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enthalten,
dass sie den Beinamen „Sixtinische Kapelle der romanischen Kunst“ trägt. Auch
wenn mein kleines Büchlein hierbei von einem Muss für jeden Pilger spricht,
konnte ich den Besuch des Pantheon leider nicht
ermöglichen. Dies war eigentlich der einzige Wermutstropfen auf dem Weg für
mich; ich hatte einfach nicht genug Zeit für die Sehenswürdigkeiten. Sonst wäre
ich gern noch einen Tag länger in León geblieben, so wie ich es ursprünglich
auch vorgehabt hatte. Aber wie immer im Leben muss man sich entscheiden und
Prioritäten setzen. Diese lauteten bei mir nun einmal, am 18. Mai in Santiago
anzukommen und den gesamten Weg zu Fuß zurückzulegen.
    Nichtsdestotrotz
führte mich der Camino auch weiter an allen historischen Plätzen in León
vorbei, so dass ich doch wenigstens alle Sehenswürdigkeiten von außen bewundern
konnte. Vorbei ging es ebenfalls am ehemaligen Kloster San Marcos, das früher
als kostenlose Pilgerherberge diente und heute kurioserweise ein Luxushotel
darstellt. Etwa hundert Meter lang ist die reich verzierte Außenfassade, die
wunderschön am großen San-Marcos-Platz neben dem Fluss Bernesga liegt.
    Nach
der Überquerung des Flusses gelangte ich in die schmutzigen, grauen Vororte von
León, die mir gestern schon so negativ aufgefallen waren und die viele Pilger
deshalb auch mit dem Bus passieren. Ich dachte mir, wenn der Camino wirklich
wie das Leben sein soll, dann kann ich nicht einfach ein Stück der Strecke
auslassen. Im Leben kann man auch nicht einfach einen Tag auslassen, selbst
wenn er einem noch so grau und öde und vielleicht sogar furchtbar vorkommt. Ein
Tag baut sich auf dem anderen auf, so wie der Jakobsweg sich Kilometer um
Kilometer nacheinander aufbaut. Man kann nicht mal vorwärts und dann wieder rückwärts gehen wie bei einer Rundreise. So wie wir
unausweichlich mit jedem Tag älter werden, selbst wenn wir ihn verschlafen
sollten, so muss man Meter für Meter auf einem bestimmten Weg zurücklegen, um
an sein Ziel zu gelangen.
    Fährt
man einen Teil der Strecke, was natürlich jeder für sich entscheiden kann,
verschwimmen meiner Meinung nach die Relationen für Entfernungen, für Raum und
Zeit. Es kommt immer darauf an, was der Einzelne von dem Weg erwartet. Für mich
war es besonders wichtig und schön zu erleben, wie man nur mit der Kraft seines
eigenen Körpers Schritt für Schritt eine solch immense Strecke im wahrsten Sinn
des Wortes erleben darf. Man könnte auch sagen, dass man dabei sein Leben
durchschreiten kann; mit Höhen und Tiefen, je nach Untergrund mal federnd
leicht, mal lehmig zäh oder auch mal betonhart. Es kann die Sonne scheinen, es
kann regnen, stürmen oder schneien. Es kann Unfälle geben oder Einwirkungen von
anderen Menschen.
    Nie
ist mir so bewusst geworden wie auf diesem Teil des Weges, welch starken
Zusammenhang ein längerer zielgerichteter Fußweg mit dem Leben hat. Ich ging
über den endlos erscheinenden harten Asphalt immer nur vorwärts, während der
Verkehr an mir vorbeirauschte. Graue, eintönige Mietshäuser wechselten sich mit
Supermärkten, Autohäusern und Industriegebieten ab. Indem ich mir vorstellte,
gerade eine graue, eintönige Zeit in meinem Leben zu durchschreiten, die auch
irgendwann ein Ende hat, fiel es mir leichter, diese Teilstrecke zu gehen. Ja,
Jutta hatte schon recht gehabt, als sie den Camino mit dem Leben verglichen
hatte. Er lief sich wirklich für mich wie ein Kurzdurchlauf des Lebens in
dreißig oder vierzig Tagen und das war eine beeindruckende Erkenntnis....
    Nach
acht Kilometern hatte ich auch diesen schlechten Abschnitt hinter mir gelassen.
In dem Straßendorf Virgen del Camino ließ ich mich zum zweiten Mal heute in
einem kleinen Café nieder und belohnte mich mit einem Bocadillo, Cola und Café
con leche. Ein Nachteil dieser winzigen Cafés besonders in den kleinen Orten
war der fast ständig laufende Fernseher. Dies schien zur Kultur der Spanier
dazuzugehören. Zu jeder Tageszeit saßen auch Einheimische an der Theke oder an
den Tischen, aßen, tranken und unterhielten sich lautstark, um den Fernseher zu
übertönen.
    Was
mir manchmal fehlte, war die leise Musik aus einem Radio. Ich stellte mir vor,
was ich jeden Tag für Musik hören würde, wenn ich so eine kleine Bar hätte. So
versuchte ich immer wieder, die Musik aus meiner Erinnerung zu hören, aber es
war mir noch nicht gelungen, ein Lied zu finden, das mich jeden Tag begleitete.
Manchmal kam mir aus unerfindlichen Gründen (oder nicht?)

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