Das Leben in 38 Tagen
„Time to say Good bye“ vom „Untergang der Titanic“ in den Sinn, aber das war kein Song, der mich
voranbrachte (oder doch?)... Ich musste auf jeden Fall noch lernen, der
Vergangenheit „ Good bye“ zu sagen, sie einfach
abzuhaken, so wie manche Menschen das tun können... Wie geht das nur ?... „The hardest part was letting go ...“ von Coldplay ... Das ist
der tiefste Schmerz, diese Hilflosigkeit... Brian Molko ,
der Sänger von „Placebo“ sagte einmal über seine eigene Musik: „Das ist wie
Schmerz, durchs Mikroskop betrachtet!“... Nein, das ist doch alles viel zu
traurig, — aber anscheinend gibt es doch noch einige Menschen, die genauso
empfinden... „Ach, Cornelius!“, würde mein Mann sagen, „es geht immer weiter,
wir müssen nur zusammenhalten!“ — „Danke, mein Lieber, du hast recht!“ Ultreja !
Nach
einer trotz Fernsehberieselung erholsamen Rast war ich weiter gelaufen und
plötzlich sah ich in einem kleinen Dort einen Kirchturm mit drei
Storchennestern. Es war einer von diesen typischen mauerartigen Kirchtürmen mit
einer frei hängenden Glocke in der Mitte. Ganz oben stand als höchster Punkt
ein Kreuz und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen; an dem Kreuz hing doch
tatsächlich ein Hufeisen! Wer hatte sich wohl diesen Spaß erlaubt und zwei
gegensätzliche Glaubenszeichen miteinander verbunden?
Der
Pilgerweg verlief heute fast ständig neben einer Hauptstraße. Es hatte zwar
eine Alternative gegeben, aber da diese 3,5 Kilometer länger sein sollte, hatte
ich mich dagegen entschieden. So musste ich eben den Lärm der Straße
akzeptieren. Ich befand mich dabei zwar immer noch auf der Hochebene von 800
Metern, sah aber nun die dunklen Berge von León immer näher kommen. Das Laufen
fiel mir mittlerweile immer schwerer. Ich spürte jeden Tag und jeden Kilometer,
obwohl ich morgens immer ganz enthusiastisch losging. Von Flügeln war leider
immer noch nichts zu spüren, im Gegenteil, langsam hatte ich das Gefühl, als ob
meine Füße immer dicker und schwerer wurden. Meine alten, ausgelatschten
Turnschuhe, die ich als Ersatzschuhe mitgenommen hatte und die ich abends immer
anzog, schienen mindestens eine Nummer zu klein geworden zu sein. Wie gut, dass
ich auf den Rat der Verkäuferin gehört und meine Wanderschuhe zwei Nummern
größer gekauft hatte!
Ich
dachte an Carol, die für mich und meine Füße beten wollte, und musste innerlich
lächeln. Dabei hoffte ich sehr, dass mein Körper nicht schlapp machen würde,
bevor es mein Kopf geschafft hatte, frei zu werden. Manchmal kamen mir schon
ganz schön Zweifel, ob sich durch den Weg etwas in mir ändern würde oder ob ich
etwas in meinem Leben verändern könnte, so wie ich es mir vorgestellt hatte.
Würde ich den Sinn des Weges für mich wirklich finden oder war alles nur
Einbildung? Waren meine Gefühle nur Einbildung oder Realität? Sollte ich sie
unterdrücken oder zulassen? Würde ich endlich lernen, loszulassen und das
anzunehmen, was andere mir gaben oder auch nicht?
Ich
hatte mal gelesen, wenn man frei sein will, muss man loslassen können, und vor
dem Loslassen würde das Annehmen stehen. Annehmen, was ist, und keine weiteren
Ansprüche stellen. Dann wird man auch gelassen und kann nicht enttäuscht
werden; wieder das leidige Thema... Oh, ich hatte noch so viel nachzudenken und
war froh, heute allein zu laufen! Das ständige Reden und Denken in Englisch war
zwar interessant, aber doch auch recht anstrengend gewesen.
Ab
und zu setzte ich mich auf eine Bank oder einen Stein, zog meine Schuhe aus und
massierte meine Füße.
21.
Die Begegnung mit meinem Vater
Dann
blickte ich in die blühende und grünende Natur an der Straße und fühlte mich
wieder besser. Der Regen der letzten Tage hatte ein sichtbares Fortschreiten
des Frühlings bewirkt. Das Grün der Weizenfelder stand nun schon ziemlich hoch
und viele bunte Blüten am Wegrand reckten ihre Köpfe der warmen Sonne entgegen.
Heute
traf ich immer wieder ein südamerikanisch wirkendes älteres Ehepaar, das ich
vorher noch nicht gesehen hatte. Beide schienen mir ziemlich kräftig, besonders
die Frau, und sie schnauften auch ganz schön. Trotzdem kam ich kaum schneller
vorwärts. Oberhaupt sah ich heute kaum bekannte Pilger. Man merkte, dass viele
doch nur Teilstrecken liefen und einige erst in León ihren Weg begannen.
Die
ersten Häuser des Dorfes Villadangos del Páramo , die
zwischen einer Bahnstrecke und der Straße lagen, stellten sich als günstige
Hotels
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