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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Verbindungen werden erst durch den Stachel des Verbots besiegelt und durch die boshafte Freude daran, die Familie in Rage zu bringen?
    Chantal wartete abends am Fenster ihres Zimmers auf mich, ich stand mir vor der Bäckerei die Beine in den Bauch. Wir hatten ein System erfunden, das wir für originell hielten: Wenn ihre Eltern im Bett waren, zog sie die Vorhänge zweimal auf und zu, das war unser Signal. Ich ging ums Haus herum, sie schlich sich herunter, kam in den Garten hinaus und wartete im Schatten des Maulbeerbaums auf mich. Ich sprang über die Mauer und lief zu ihr.
    Der kleine Montague und die junge Capulet küssten sich, bis sie keine Luft mehr bekamen, und erforschten einander fieberhaft. Wir machten
alles
, bis auf das Eigentliche, das sie sich für die Ehe aufsparen wollte. Sie war leider gut erzogen.
    Ich beherrschte mich bis zum Zerplatzen und versaute alle meine Jeans. Sie verließ mich mit verheißungsvoll funkelnden Augen, roten Wangen und zerknülltem Rock.
    Wir haben uns zwei Jahre lang geliebt, ohne die Sache je zu Ende zu bringen.
     
    Dann habe ich Marie-Jeanne kennengelernt, eine gut gepolsterte Blonde, die etwas weniger Moral und wesentlich mehr Temperament besaß.

M yriam scheint mich für einen umgänglichen Menschen zu halten. Bei jeder Gelegenheit sagt sie zu mir: »Wenn wir auf der Station nur solche hätten wie Sie, wäre es leichter!«
    »Dabei bin ich doch ein ganz schöner Nörgler, oder?«
    »Ach was! Wenn ich Ihnen erzählen würde, was wir mit den Patienten alles durchmachen …«
     
    Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr Beruf nicht immer lustig ist. Aber ich antworte ihr, dass die Kranken auch einiges durchmachen. Dass sie in dieser Hinsicht sogar in den vordersten Logen sitzen, mit bester Sicht auf den Schmerz, die Angst, die Langeweile, die Einsamkeit und alle erdenklichen Unannehmlichkeiten.
    Und sie werden dafür nicht bezahlt, und freiwillig sind sie auch nicht da.
    Krankenpfleger oder Krankenschwester zu werden, sucht man sich aus, krebskrank oder Unfallopfer zu sein, nicht.
    Sie hebt fatalistisch die Hände: »Ach, Sie haben schon recht, ich weiß ja! Ich sag Ihnen mal was: Wenn ich krank wäre, wollte ich bloß nicht im Krankenhaus landen. Aber das sucht man sich nicht aus, nicht wahr? Also dann, ich muss weiter. Ach und übrigens, der Chirurg kommt heute erst am Abend vorbei.«
    Sie sagt nie »Doktor Soundso« oder »Professor Dingsda«, immer nur »der Chirurg«, als hätte er keinen anderen Namen.
     
    Sie sagt »der Chirurg«, so wie man
Gott
sagt.

U nversehens war ich dann plötzlich sechzehn.
    Im Sommer 1961 schoss ich mit einem Schlag in die Höhe. Innerhalb von drei Monaten wurde ich zu einem großen Kerl mit langen, mageren Beinen und der Anmut (nicht aber dem IQ ) eines Gibbonaffen.
    Uropa Jean beobachtete mein Wachstum, als wäre er ein Forscher und ich die Laborratte. Ständig unkte er, ich würde meinen Eltern bald auf den Kopf spucken. Die Prognose erwies sich als richtig: Im November schaute ich meiner Mutter in die Augen.
    Im darauffolgenden Mai hatte ich meinen Vater überholt.
    Seinen glänzenden Schädel von oben zu sehen war weitaus berauschender als alles, was Gagarin in seiner Wostok-Rakete empfunden haben konnte. Die Glatze meines Vaters war mein Weltraumflug.
    Ich nutzte jeden Vorwand, um mich neben ihn zu stellen und meine neueste Flughöhe zu ermessen. In unserer Familie von Südländern, in der alle kurzbeinig und rundköpfig waren, waren 1  Meter  72 schon fast ein Rekord.
    Bei jedem Familienausflug spielten die Nachbarn den antiken Chor: »Meeein Gott, ist der Junge groooß geworden! Meeein Gott, sieht er guuut aus!«
    Ich war endlich ein Mann, abgesehen von ein paar Kleinigkeiten. Darunter die Gebrauchsanweisung.
     
    Als ich mich den gefährlichen Strudeln der Pubertät näherte, begann mein Vater, sich um meinen »Umgang« zu sorgen. In seinen Augen waren meine Kumpels ausgemachte Nichtsnutze, eine Bande von Herumtreibern. Ich scherte mich nicht um seine Meinung, und das brachte ihn zur Weißglut. Wir bildeten eine kleine Clique: Serge, Lulu, Dany, Patrice und ich. Alle aus den Augen verloren, bis auf Serge, der vor ein paar Monaten wiederaufgetaucht ist. Wir bewunderten die Rocker mit ihren schwarzen Lederjacken, ihren pomadisierten Tollen, ihren Silberketten und vergoldeten Siegelringen. Ich hatte eine Elvis-Presley-Frisur. Ich spielte den starken Mann. Stundenlang hob ich Gewichte, um betonharte Bizepse und Bauchmuskeln zu

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