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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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hängen, der die Mädchenschule von der Jungenschule trennte, und uns die ganze Pause lang kichernd zu begaffen und sich gegenseitig mit den Ellbogen anzustoßen. Zum Glück waren die Klassen nicht gemischt, so blieben wir die übrige Zeit unter uns, in der privilegierten Welt der männlichen Apartheid, für Pissnelken verboten. Zugangsbeschränktes Territorium, nur für Schwanzträger.
    Mädchen, was für ein Ungeziefer!
    Geschwätzige, überdrehte, unbeständige Wesen. Hysterisch. Verlogen.
    Ich würde niemals heiraten, das war beschlossene Sache.
     
    Ein Jahr später, im Juli, verliebte ich mich Knall auf Fall in eine gewisse Marie-Annick – ein Gesicht voller Sommersprossen, die Haare so rot, dass man sie früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte. Sie war ein Jahr älter als ich und kam aus Lüttich. Ihre Eltern hatten den Sommer über das Haus unserer Nachbarn gemietet. Ihre Mutter stopfte mich mit selbstgebackenen Waffeln voll, die ich, gierig, wie ich war, in drei Bissen hinunterschlang. Ihr Vater nannte mich »Sohnemann«, klopfte mir auf die Schulter und warnte mich zwinkernd davor, »mit seiner Tochter herumzupoussieren, sonst hätte er mit mir ein Ei zu pellen«.
    Ich hatte keine Ahnung, was er meinte.
    Ich erinnere mich, dass ich damals die Methode entdeckte, die ich in fremden Ländern heute noch einsetze: mich an die Blicke, die Mimik, den Tonfall zu halten, wenn ich die Sprache nicht verstehe. Die Drohungen wurden in wohlwollendem Ton ausgesprochen. Die Waffeln waren zuckersüß.
    Diese Leute waren mir nicht feindlich gesinnt.
    Mit Marie-Annick lernte ich die wahre körperliche Leidenschaft kennen: Wir hielten mit verschränkten Fingern Händchen. Ich streichelte sie lange da, wo einmal ihre Brüste sein würden, sie zog das Gummi ihres Höschens herunter und zeigte mir den Ansatz ihrer Muschi.
    Ich wollte lieber damit warten, bis ich da unten Haare hätte.
    Wir tauschten sogar zwei denkwürdige Zungenküsse aus, aber da sie Angst hatte, davon schwanger zu werden, begnügten wir uns danach damit, einander fest zu umschlingen, unsere geschlossenen Münder aufeinanderzupressen und die Köpfe hin und her zu drehen.
    Echte Kinoküsse.
    Und die übrige Zeit spielten wir in ihrem Garten mit ihrem Puppengeschirr und ihren beiden Bella-Puppen, zum Glück vor allen Blicken verborgen, denn wenn einer meiner Freunde mich so tief hätte fallen sehen, wäre ich vor Scham tot umgefallen.
    Leider kehrte sie am Ende der Ferien zurück nach Belgien.
    Ich war fast zwei Wochen lang halb verrückt vor Schmerz, dann fingen die Rugby-Spiele wieder an, und das Leben nahm seinen Lauf.
    Waffeln und Liebeskummer waren vergessen.
     
    Dann kam eine lange Flaute, gefolgt von ein paar Liebschaften, die aber nie wirklich erfolgreich waren.
     
    Mit siebzehn lernte ich schließlich Chantal kennen. Sie war fünfzehneinhalb, hatte langes, hellbraunes Haar, riesige graugrüne Augen, Storchenbeine, und sie lispelte. Sie war meine erste Liebe. Die erste echte Liebe, für die man zu allem bereit ist – ein Mofa klauen, sich freiwillig zum Militär melden, von einem Dach springen oder das Abitur schaffen –, egal was, nur um seiner Angebeteten zu imponieren. Mein Vater sah die Sache nicht gern, ganz im Gegenteil: Herr Gaubert, Chantals Vater, wählte die rechte Bauernpartei. Sie gehörten nicht dem gleichen Lager an, und für meinen Vater war die Bauernpartei eindeutig das falsche.
    Aber in Anbetracht dessen, dass ich der älteste Sohn und alt genug war, mit einem Mädchen
zu gehen
, wurden meine Eskapaden toleriert. Aus mir würde mal ein Rudelführer werden. Ich war ein künftiges Alphamännchen. Es war an den Mädchen, sich vor dem Wolf zu hüten, und an den Eltern, auf ihre Töchter aufzupassen.
    Die goldene Regel hieß damals: »Holt eure Hühner rein, unser Gockel ist los.«
    Chantals Mutter konnte mich nicht leiden und hielt damit nicht hinterm Berg. Ein Sprössling von linken Arbeitern, gottlos und halbstark! Die schlechteste Partie, der Schwiegersohn ihrer schlimmsten Träume. Ein Antichrist mit Motorroller, der in Bars herumhing und während der Messe Flipper spielte. Wenn sie uns auf dem Marktplatz miteinander reden sah, öffnete sie ihre Fensterläden und brüllte mit einer Stimme wie ein Nebelhorn »Chantaaal!«, als wäre ich eine Felsenküste und ihre Tochter ein abdriftendes Schiff. Wir trafen uns heimlich, das fachte unsere Leidenschaft an. Je weniger man darf, desto stärker das Verlangen. Wie viele

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