Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
dass die Bullen ihm blöde Fragen stellen nach dem Grund seiner Anwesenheit am Tatort um diese nachtschlafende Zeit. Er ist gekommen, um sich nach mir zu erkundigen. Und ich …
Ich kritisiere die Idioten, wo ich nur kann, aber selber könnte ich in ihrer Mannschaft als Mittelstürmer spielen.
» W enn du wegen dem Computer kommst, vergiss es. Ich will eine Mail schreiben.«
»Nicht schlimm, egal, ich hab Zeit.«
Sie setzt sich. Unglaublich, wie dreist diese Göre ist.
»Ähm, hast du etwa vor hierzubleiben?«
Sie starrt mich apathisch an, fummelt an einem Pickel auf ihrer Wange herum, betrachtet die Sohlen ihrer Hausschuhe, seufzt, sackt in sich zusammen, schweigt. Sie sieht aus wie ein Donut im Jogginganzug. Man muss sagen, dass sie keine Mühen scheut, um ihren Umfang zu steigern: Ständig kaut sie auf irgendetwas herum. Und zu allem Überfluss trägt sie heute ihren MP 3 -Player um den Hals gehängt wie eine Halskette, die Stöpsel nicht in den Ohren, sodass ein grauenhafter Sound mit wummernden Bässen daraus hervorquillt,
Bumm! Bumm! Bumm! Bumm!
Ich zögere, was die passende Reaktion wäre: ein Schlag mit der Krücke auf ihre Musikschachtel? Oder doch lieber auf den Notrufknopf? Ich zeige auf das Gerät und sage: »Kannst du dein Dingsda abschalten? Es stört mich.«
Sie tut es, ohne Widerrede.
Plötzlich probiert sie es mit ihrem schönsten Lächeln und teilt mir mit: »Heute ist mein Geburtstag.«
Halleluja!
Die Anstrengung scheint sie erschöpft zu haben, sie verstummt wieder.
Ich tippe zwei-drei Worte an Serge, aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren.
Es gibt Leute, deren Schweigen juckt wie eine Windpocke.
Aus welchem Grund auch immer – meine gute Erziehung oder die Ermattung? – frage ich sie schließlich: »Wie alt wirst du denn?«
»Vierzehn.«
Ich versuche es mit einem schlauen Manöver: »Deine Eltern werden dich zum Geburtstag doch sicher besuchen kommen. Meinst du nicht, du solltest mal gucken gehen, vielleicht sind sie ja schon in deinem Zimmer?«
»Nee, mit Sicherheit nicht.«
Verdammt. Vielleicht ist sie Waise? Auf gut Glück antworte ich: »Tut mir leid!«
»Schon gut, ist mir egal. Äh … Sind Sie jetzt fertig? Ich muss da mal …«
»… auf Facebook, wette ich!«
Sie lächelt.
»Ja-aber-nee, ich will nur kurz was über Vornamen nachgucken. Was sie bedeuten, zu wem sie passen, so was alles …«
Ich verstehe kein Wort von dem, was sie mir erzählt, und will es auch gar nicht genauer wissen. Aber ich werde mit Sicherheit keine Ruhe haben, wenn ich nicht nachgebe, also werde ich nachgeben, das ist klar wie Kloßbrühe. Meine baldige Kapitulation erscheint unabwendbar. Mein Willen ist bröseliger geworden als ein von Holzwürmern befallener Schrank.
Vor ein paar Jahren hätte ich sie schneller zum Teufel gejagt, als sie sich hätte umgucken können. Waise oder nicht, was geht mich das an?!
Und jetzt bin ich dabei, dieser kleinen Klette nachzugeben, aus Mitgefühl, Verschleiß, Wurmstichigkeit?
Das Alter bekommt mir nicht.
Ich altere nicht nur schlecht, ich altere schlaff.
M eine Schwägerin hat mich besucht. Marie-Christine, Annies Schwester. Wahrscheinlich von meinem Bruder benachrichtigt, den ich eigentlich um nichts Derartiges gebeten hatte.
Wir tauschen ein paar nachrichtengestützte Plattitüden aus: ein prächtiger Orkan, Hunderte von Toten, zerstörte Häuser, so ein Unglück für die Versicherungen.
Als sie sich wieder verabschiedet, rät mir Marie-Christine, Mut zu bewahren und diese von Gott geschickte Prüfung zu akzeptieren. Ich antworte, ich sei skeptisch, was den Absender angehe. Sie seufzt betrübt.
Sie ist sehr gläubig, was mich nicht stört, solange sie es für sich behält. Aber sie nutzt jede Gelegenheit, um Gott aufs Tapet zu bringen, als wäre er die einzige Antwort auf alle Fragen, welcher Art auch immer. Für sie mag das ja der Fall sein: Sie glaubt an ihn. Ich aber nicht.
Das ist unser Schisma.
Wir haben nicht die gleiche Weltsicht, sie und ich. Wir sind unvereinbarer als Öl und Wasser. Auch wenn wir uns schlagen würden, könnten wir keine Emulsion bilden.
Vielleicht liegt das in der Familie.
Uropa Jean war noch getauft worden, wie man geimpft wird, und er war ein kämpferischer Atheist geworden. Mein Vater war auch Atheist, aber ohne Bekehrungseifer. Er hob sich seine wütenden Tiraden für Streiks und Arbeitgeber auf. Jedem seine Berufung.
Und meine Mutter? Die mied grundsätzlich alle heiklen Themen: Politik,
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