Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
wie die eines Arbeiters, der an seinem Presslufthammer hängt.
In dem Moment kam ein Besucherpaar im Flur vorbei, und dem mitfühlenden Blick, den sie uns zuwarfen, konnte ich entnehmen, dass sie die Situation falsch interpretierten: ein in Tränen aufgelöstes Mädchen am Bett eines alten Mannes im Gipsverband, das musste aussehen wie eine Szene aus einem Zola-Roman.
Opa lag im Sterben.
Das Buch in seinen Händen war sicher die Bibel oder sonst eine Erbauungslektüre.
Ich legte meinen Boris Vian wieder zur Seite.
»Bist du bald fertig? Oder hast du vor, noch lange so zu weinen?«
Etwas Tröstlicheres hatte ich nicht auf Lager.
Sie rieb sich mit den flachen Händen die Augen, wie ein vierjähriges Kind. Mädchen sind doch eine Plage, meine Güte!
Ich versuchte, Konversation zu machen: »Was hast du denn auf meinem Computer so Wichtiges zu tun? Kannst du nicht besser im Park spazieren gehen?«
»Ich darf nicht laufen. Hat der Doktor gesagt.«
Sie durfte nicht laufen?! Dabei hätte das bei ihrem Übergewicht nicht schaden können. Die Medizin ist manchmal verwirrend.
Ich erwiderte boshaft: »Wenn du nicht laufen darfst, warum sehe ich dich dann zehnmal am Tag an meinem Zimmer vorbeigehen?«
»Weil mir sonst zu langweilig ist. Es kotzt mich an, hier zu sein.«
Zumindest in diesem Punkt waren wir uns einig.
Ich hätte sie beinahe gefragt, wie lange sie denn hierbleiben müsste, aber ich beherrschte mich gerade noch. Erstens war es mir schnurzegal. Und zweitens habe ich zwar keine Ahnung von Kindern, aber ich fürchte, es ist genauso wie mit jungen Katzen oder Hunden: Man lässt sich einmal dazu hinreißen, sie am Kopf zu kraulen, und schon pinkeln sie einem auf den Teppich und machen es sich auf dem Sofa gemütlich. Das kommt mir nicht in die Tüte, ich will meine Ruhe.
H eute begleitet eine niedliche kleine Schwesternschülerin den Urologen. Er ist um die vierzig, ein netter, dynamischer Kerl, herzlich, aber immer in Eile.
Er untersucht den ganzen Plunder und verkündet, heute würde man mir den Katheter ziehen. Und zwar würde das die »junge Dame« übernehmen. Er lässt sie den technischen Ablauf wiederholen. Sie antwortet brav, die Stimme leicht zitternd vor Aufregung, aber ohne zu zögern.
Offensichtlich weiß sie, was sie zu tun hat.
Der Urologe nickt, zeigt mit dem Finger auf mich und sagt: »Dann sind Sie jetzt dran!«
Ich weiß nicht, ob er damit mich meint oder sie.
Die »junge Dame« schluckt, tritt widerstrebend näher, betrachtet meinen Piephahn mit einer Besorgnis, die ich durchaus teile. Der Urologe schnaubt: Also, bitte!, und klopft mit der Schuhsohle auf den Boden.
Es wäre mir lieber, er würde sie nicht so unter Druck setzen.
»Sie sagen mir Bescheid, wenn ich Ihnen wehtue, ja?«, murmelt sie schüchtern.
»Bitte, junge Dame, auf geht’s«, drängelt der Urologe.
Todunglücklich greift sie mit einer unsicheren Hand nach meinem alten Corpus Delicti, mit der anderen nach dem medizinischen Schlauch.
Ich sage: »Wie gut, dass Sie nicht auf dem Schlauch stehen, wie?«
Der Urologe zieht eine Braue hoch. Die Kleine wird rot, unterdrückt ein nervöses Kichern. Ich bin nicht besonders stolz auf das Niveau meines Witzes, aber er ist therapeutisch. Entdramatisierung tut not.
Sie fasst sich wieder, und während sie anfängt, mir das Ding herauszuziehen, sagt sie: »Äh, es wäre vielleicht besser, wenn Sie nicht hinschauen würden …«
»Ach was, ich gucke gern ein bisschen in die Röhre.«
Sie muss laut lachen und lädiert dabei mein bestes Stück ein wenig, aber was soll’s, es ist vorbei.
Sie macht mich kurz sauber, lächelt und bedankt sich mit kleinlauter Stimme.
Ich wage nicht zu antworten, dass es mir ein Vergnügen war, denn mein Zauberstab brennt wie Feuer.
Aber ich lasse mir nichts anmerken und markiere den harten Mann.
Sie geht als Erste hinaus, der Urologe zwinkert mir zu.
»Sie haben es drauf! Ich habe es nie geschafft, auch nur eine Einzige zum Lachen zu bringen!«
Im Hinausgehen dreht er sich um und fragt: »Soll ich Ihre Tür zumachen?«
Der muss hier neu sein.
W as der Urologe auch denken mag, ich habe es mit Mädchen eigentlich nicht drauf, nein. Auch früher schon nicht. Lange habe ich nicht mal ihre Anwesenheit bemerkt, ich lebte neben ihnen her, ohne sie zu sehen.
Erst gegen Ende der Grundschulzeit begannen sie für mich zu existieren. Ich hasste sie natürlich, wie alle meine Freunde auch. Ihr Lieblingsspiel bestand darin, sich an den Zaun zu
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