Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Kollapses des westantarktischen Eisschildes. Das ist in den letzten fünf Millionen Jahren ein paarmal passiert, wenn die Temperaturen zwischen zwei und drei Grad über der vorindustriellen Mitteltemperatur lagen.
»Da kann ich sagen: Das wird wahrscheinlich nicht passieren in den nächsten 100 Jahren. Gleichzeitig wissen wir praktisch nichts über den Ozean darunter, der das antreibt. Dafür gibt es keine Untersuchungsmodelle. Es ist eine definitive Möglich keit, dass es passieren kann; es ist unwahrscheinlich, aber es ist möglich.«
Generell ist Levermann der Meinung – wir sind im Meinungsbereich hier, nicht im wissenschaftlichen Sektor –, »dass wir praktisch alles unterschätzen«.
Deshalb hat er für sich den Schluss gezogen, dass er »den mo ralischen Pfad« nicht verlässt, wenn er inzwischen nicht mehr fragt, was das Wahrscheinliche ist, sondern was das Mögliche ist.
Er ist Hauptautor des Kapitels »Meeresspiegel« im nächsten IPCC-Bericht und da will er entsprechend vorgehen: »Weil ich denke, darauf müssen wir uns potenziell vorbereiten, darauf müssen wir unsere Strategien ausrichten.«
Das ist für ihn »eine Sache, die wir jetzt klären müssen: Wie muss ich meine Sachen darstellen, dass das ankommt, was ich tatsächlich denke?«.
Beispiel: Er spreche inzwischen von »locker« einem Meter Meeresspiegelerhöhung.
»Die Hamburger werden dann bleich. Die sagen: Den Deich können sie noch 80 Zentimeter erhöhen, danach müssen sie das Hinterland verändern, also die ganzen Häuser verschieben.« Also wollen sie hören, dass ein Meter Erhöhung wahrscheinlich nicht passiert.
Die Niederländer dagegen sprächen über wesentlich höhere Zahlen und betrieben dadurch echte Risikoanalyse. Während das IPCC ermittle, was wahrscheinlich passiert, wollten die Niederländer wissen, was im schlimmsten Fall passiert. Ihr Denken: Es geht um eine Gefahrenabschätzung, da hilft uns der Mittelwert nichts.
Dennoch »fordern« Wissenschaftler nicht, sie ermitteln, was in der Zukunft passiert, wenn die Gesellschaft einen bestimmten Emissionspfad einschlägt. Weil das wissenschaftliche System ein völlig anderes ist als das wirtschaftliche und das politische, kommt es immer wieder zu Missverständnissen.
»Die Politiker denken, sie hätten Verhandlungsmasse«, sagt Levermann. »Sie denken: Wir ›fordern‹ zwei Grad. Dann fordern sie vier, wir treffen uns bei drei Grad in der Mitte und feiern den Kompromiss.« Das ist das Denken des politisch Handelnden.
»Wir ›fordern‹ aber nicht zwei Grad. Wir sagen: Dieser Emissionspfad bringt uns über zwei Grad und dann geschieht aller Vo raussicht nach dieses und jenes. Das ist verbunden mit der Frage an die Gesellschaft: Wollen wir das in Kauf nehmen?«
Was ist der Unterschied zwischen zwei und drei Grad Erwärmung?
Das kann die Wissenschaft nicht präzise beantworten, weil es zu viel Unkalkulierbares gibt. Generell gilt: Je stärker die Erwärmung, desto feuchter werden feuchte Gebiete, desto trockener werden trockene, desto stärker werden die Extreme und die extremen Ereignisse.
»Die Argumentation für zwei Grad ist für mich: Wir können das Klima nicht feintunen auf 1,7 oder 1,6. Wir können sagen: Eins schaffen wir nicht mehr, das ist vorbei. Drei ist zu viel, drei heißt, dass große Sachen geschehen: Grönland, Westantarktis, womöglich Amazonas-Kollaps, Nordatlanktikstrom. Drei ist ein fach zu viel.«
Warum ist das ein GAU, wenn der Nordatlantikstrom nicht mehr funktioniert, von dem der Golfstrom ein Teil ist?
Er malt den Nordatlantikstrom auf ein weißes Papier.
»Die Zirkulation des Golfstroms transportiert Wärme von der Süd- in die Nordhemisphäre. In den hohen Breiten kühlt sich das ab und fließt wieder nach Süden als kalte Strömung, das heißt, wir haben damit eine Umwälzpumpe. Wenn wir die nicht mehr haben, wird der Süden wärmer und der Norden kälter. Dann können wir die Landwirtschaft in Teilen Europas dichtmachen. In England zum Beispiel.«
Und was ist, wenn es feuchter in Indien und trockener in Süd europa wird?
»Das wird für bestimmte Regionen viel schlimmer als der Meeresspiegelanstieg. Wenn der mediterrane Bereich immer trockener wird, kommt das ökologische und ökonomische System in Europa durcheinander. Genauso ist es, wenn der Monsun in Indien immer stärker wird und die Überschwemmungen zunehmen.«
So etwas wie der Hurrikan Katrina in New Orleans kann Alltag werden?
»Das ist möglich.«
Was sagt er, wenn Leute
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