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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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eines Tages der zweite demokratisch gewählte Präsident unseres Landes werden. Ich kenne Besetow seit vielen Jahren, und ich denke, es wird Zeit, meine tiefen Zweifel an seiner Eignung für dieses Amt zum Ausdruck zu bringen.
    Welche Opfer hat Besetow eigentlich für unser Land gebracht? Was hat er riskiert oder verloren? Hat er sich seinen Status als verehrte Galionsfigur der Opposition wirklich verdient? Natürlich braucht Russland Veränderungen. Natürlich braucht Russland einen neuen Regierungsstil. Aber es tut mir in der Seele weh, mitzuerleben, wie viele Menschen ihre Hoffnungen in einen so korrupten, so trägen und – so unpopulär diese Meinung sein mag – so verängstigten Menschen setzen.
    Es ist bekannt, dass Besetow einen Film über die Sprengstoffanschläge von 1999 drehen will, und das ist durchaus ein lobenswertes Projekt. Aber wer hat die Interviews geführt? Wer hat die gesamte Arbeit gemacht? Nicht etwa Besetow selbst – lieber schickt er eine Gruppe Zwanzigjähriger überall hin, die für ihn die Recherchen übernehmen. Besetow begibt sich nur ungern außer Haus und unter das Volk, und zwar letztendlich deshalb, weil er vor dem Volk Angst hat. Genau diese Arroganz und Kälte sind der Grund, warum Besetow die gesammelte Aufmerksamkeit der Reformbewegung nicht wert ist.
    Möglicherweise kann Besetow sich noch rechtfertigen. Von Insidern ist zu hören, dass er Nachforschungen auf einem bestimmten Militärstützpunkt plant und dass er wieder seine Assistenten dorthin schicken will. Sicher ist ihm bewusst, dass er diesmal selbst fahren muss, wenn ihm daran gelegen ist, in den Augen der Bürger seiner zukünftigen Demokratie seine Glaubwürdigkeit zu wahren. Russland braucht keinen zweiten mächtigen Milliardär, der sich um das einfache Volk nicht schert. Russland braucht einen Mann, der im Namen des Volkes echte Entscheidungen trifft – und echte Risiken eingeht.
    Mit freundlichen Grüßen
    Michail Solowjow
    Alexander las, und seine Schultern fühlten sich so unbeweglich an, als hätte man sein Hemd an die Wand genagelt. Er zog sich auf das Sofa zurück und räumte eine Gartenschere beiseite, um sich setzen zu können. Irgendeins seiner abgelegenen Hirnareale beschäftigte sich mit der Frage, wozu Nina eine Gartenschere besaß – schließlich hatten sie keinen Garten, nicht einmal einen Vorgarten, und selbst wenn sie einen gehabt hätten, wäre es zu riskant gewesen, darin zu arbeiten. Manchmal baute sie auf den Fensterbänken Basilikum an, und vielleicht hatte sie gehofft, sie würden irgendwann ihre Sommer in einer riesigen, wunderschönen Datscha irgendwo außerhalb der Stadt verbringen und ihre Horde von Kindernzum Spielen nach draußen schicken. »Tja«, sagte er. »Das ist schlecht.«
    »Schlecht? Wir sind erledigt«, sagte Boris.
    »Noch nicht ganz«, sagte Viktor.
    »Du weißt, dass uns das hier das Leben unendlich viel schwerer macht, oder?«, sagte Boris. »Du weißt, dass es unser Risiko, umgebracht zu werden, unberechenbar erhöht? Wenn die wirklich denken, du würdest mitkommen, war’s das für uns. Und genau das will Mischa sie glauben machen – dass du nach Perm fährst. Dass du jetzt fahren musst , um deine Kandidatur zu retten.«
    »Das muss ich auch«, sagte Alexander. »Ich muss wirklich fahren.«
    »Das kannst du nicht tun«, sagte Irina.
    »Ich muss.«
    »Soll das etwa lustig sein?«, fragte Boris.
    »Was soll daran lustig sein? Es ist meine Bewegung, oder? Und meine Idee. Es ist meine verdammte Kandidatur, oder etwa nicht?«
    »Das geht nicht. Das kannst du nicht tun.«
    »Dieser Idiot hat nicht unrecht, oder?«, sagte Alexander. »Das denkt ihr doch alle. Ihr habt Angst, es zu sagen, aber ihr denkt es. Was hat er schon riskiert?, fragt ihr euch. Woher nimmt er seine Autorität, wenn er sich nicht einmal traut, draußen eine Bratwurst zu essen, in sein Heimatdorf zu fliegen oder ohne seine verdammten Gorillas einen Fuß vor die Tür zu setzen? Das soll ein Held sein? Nein, denkt ihr. Der Mann ist ein Feigling, ein Weichei, und er schickt junge Leute los, um für ihn die Drecksarbeit zu machen, und dann lehnt er sich zurück und genießt den Applaus.«
    Ein Schweigen folgte, und Alexanders Worte wirbelten in immer weiter werdenden Kreisen durch die Stille, bis ihr Echo den ganzen Raum erfüllte.
    »Nein«, sagte Irina schließlich. »Das denken wir nicht. Du hast Hunderte Morddrohungen bekommen. Bei dir sind Körperteile durchs Fenster geflogen. Wenn sie dich ein einziges

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