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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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ignorante Amerikanerin, die eine Schneise der Verwüstung durch einen Urwald zieht, oder durch einen Roman von Graham Greene.
    Sie kniff die Augen zusammen. »Dann wissen Sie, dass er für die Präsidentschaft kandidiert?«
    »O ja, natürlich«, sagte ich. »Natürlich weiß ich das. Sie freuen sich sicher sehr für ihn.« Ich hatte das Jahr über immer wieder davon gelesen – meistens in Form farbiger Textblöcke ganz am Ende der Sektion für internationale Politik, die mit selbstgefälligen Wortspielereien betitelt waren. »Staatstratege – Ein Schachgenie wagt den Sprung in die Politik« stand da, oder »Schach dem König – Ehemaliger Schachweltmeister fordert Putin heraus«. Gelegentlich – zwischen entsorgten Daseinsresten und gestempelten Visa, zwischen dem Abschied von meinem Liebsten und meiner Trennung von ihm – hatte ich durchaus daran gedacht, dass der Präsidentschaftswahlkampf ein Problem für mich darstellen könnte und dass aus Besetows Perspektive ein Treffen mit einer verstörten, in jeder Hinsicht ins Schlingern geratenen jungen Frau nicht unbedingt die allerhöchste Priorität genoss. Doch dann hatte ich beschlossen, diese Tatsachen weitestgehend zu ignorieren, wie so viele unbequeme Wahrheiten meines Lebens.
    »Freuen trifft es vielleicht nicht so ganz«, sagte Elisabeta und verzogden Mund zu einem schroffen kleinen Komma. »Er wird nicht gewinnen, und außerdem führt es dazu, dass eine Menge einflussreiche Menschen ihn umbringen wollen. Leute, die wissen, wie man so etwas relativ diskret erledigen kann. Mit Giften oder Flugzeugabstürzen, Sie wissen schon. Putin hat es praktisch in sein Regierungsprogramm für den Rest der Legislaturperiode aufgenommen. Alexander fliegt nie mit Aeroflot, nicht einmal auf Inlandsflügen. Besonders nicht auf Inlandsflügen. Allerdings wird es für den FSB schwieriger, je bekannter Alexander im Westen ist. Deshalb redet er so gern mit Journalisten wie Ihnen.«
    »Ich bin keine Journalistin.«
    »Ist ja auch egal, wie Sie es nennen. Das Problem ist, wie gesagt, dass alle möglichen Leute ihn umbringen wollen. Frauen eher selten, und Amerikaner waren bisher auch nicht dabei, aber man weiß ja nie.«
    »Ich will ihn doch nicht umbringen«, sagte ich ein wenig beleidigt.
    »Selbst wenn nicht, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Er wird sich nicht einmal an mich erinnern. Ich habe seine Kontaktdaten nicht.« Ihre Stimme begann wieder auseinanderzufallen, wie ein einzelner Ton, der sich in einen Vierklang auffächert. Ich dachte, sie würde jeden Moment wieder husten müssen, doch sie tat es nicht.
    »Oh«, sagte ich und begriff, dass es dabei vielleicht bleiben würde. Vielleicht war das das Ende meines ausgefeilten, emotional anspruchsvollen und finanziell desaströsen Plans, aber es kam definitiv nicht in Frage, mit diesem Ergebnis wieder heimzukehren. »Ach, du lebst noch?«, würden die anderen sagen. »Wolltest du nicht irgendwo in den Weiten des wilden Ostens in den Tod gehen, und hattest du nicht eigentlich vor, unterwegs noch etwas zu lernen, zu finden oder zu tun? Natürlich kannst du deinen Job und deinen Partner wiederhaben, aber du verstehst hoffentlich, dass das jetzt ein bisschen unangenehm ist.« Zurückzugehen wäre ungefähr so, wie viel zu spät auf der Party von Leuten aufzuschlagen, dieman kaum kennt, und dann dort hängenzubleiben und bei greller Deckenbeleuchtung und warmem Bier über gemeinsame Bekannte zu reden, die längst gegangen sind. Es wäre ungefähr so peinlich wie in der schlecht geheizten Wohnung einer halbtoten Russin einzufallen, ihr Informationen über einen längst vergessenen Bekannten abzuverlangen und dann schweigend an die Decke zu starren, weil sie diese Informationen nicht hat.
    Aber was sollte ich sonst tun? Auf St. Petersburgs vielen Brücken umherstreifen, bis die Zeit reif war, in die Newa zu springen? Vielleicht den Schachmeister stalken, Steinchen an sein Fenster werfen und ihm Nachrichten in den Briefkasten stecken, bis seine Gorillas mich erschießen? Auch das kam mir eher antiklimaktisch vor.
    Die scharfen Kanten meines Schweigens schienen Elisabeta allmählich Unbehagen zu bereiten, denn sie zeigte unvermittelt auf das Porträt der streng dreinblickenden Dame. »Kennen Sie die Geschichte Solomonijas?«, fragte sie. Solomonija funkelte mich unter ihren wuchtigen Augenbrauen missbilligend an.
    »Nein. Wer ist sie?« Bestimmt hatte man sie wegen irgendwelcher hehrer Prinzipien oder wegen ihrer Enthaltsamkeit zu

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