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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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Schneegestöber plumpe Verwicklungen, überzogene Vorurteile und peinliche Missgeschicke zu sehen. Es war beinahe heimelig, wie Alexanders bessere Abende in Ocha, als sein Vater noch lebte und er ein kleinerJunge war. Als Alexander sich bei diesem Gedanken ertappte, richtete er sich auf, ließ seine Nackenwirbel knacken und kippte seinen Wodka hinunter. Manchmal hatte er fast das Gefühl, Iwan könnte hören, was er dachte, und das wollte er nicht.
    »Soll der Litauer nun mit rein oder nicht?«, fragte Alexander.
    Iwan zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich schon. Trotz der Einwände unseres verehrten Freundes Nikolai Sergejewitsch.«
    Auf dem Bildschirm war ein sturzbetrunkener Mann zu sehen, dessen hysterische, grobknochige Ehefrau erfolglos versuchte, seinen Zustand vor ihren teuer gekleideten Abendbrotgästen zu verbergen.
    »Warum will Nikolai ihn nicht drinhaben?«, fragte Alexander.
    »Kolja wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben.« Iwan lachte kurz in Richtung Fernseher. »Er hat sehr feste, sehr undurchschaubare Prinzipien.«
    Auf dem Bildschirm schien dem Betrunkenen übel zu werden. Er beugte sich in Richtung der Schuhe des teuer gekleideten Gastes. Die Ehefrau kreischte auf. Iwan lachte.
    »Er hält es für zu provokativ«, sagte Iwan. »Finger weg vom Baltikum, sagt er immer. Er glaubt, es geht einen Schritt zu weit. Aber was weiß er schon? Er ist hier schließlich nicht der Zirkusdirektor, oder? Nicht gerade eine treibende kreative Kraft, wie?« Er stand auf und begann auf und ab zu gehen, wobei er eine Hand über die Bücherstapel gleiten ließ. »Er macht die Aufzeichnungen und übernimmt das Risiko dafür. Aber eigentlich ist es ihm egal. Nikolai Sergejewitsch ist mein Freund, aber eins lass dir gesagt sein: Er würde sich in alles Mögliche stürzen, was ihm gerade unterkommt. Er ist ein Radikaler auf der Suche nach einer Mission, und wir haben bloß Glück, dass es unsere ist.«
    Alexander dachte über seine Worte nach. Draußen tippte der Schnee mit weißen Fingern an die Fensterscheiben. Manchmal lösten sich größere Klumpen, wirbelten in den Lichtkegel der Laterne und sanken wie glühende Asche zu Boden.
    »Also«, sagte Iwan nach einer Weile. »Dein Mädchen hat geheiratet, habe ich gehört?«
    »Ja.« Irgendwie sorgte der Blick hinaus in den Schnee dafür, dass es ihm weniger ausmachte; es war, wie wenn jemand die Schmerzen einer schweren inneren Verletzung unter Kontrolle bringt, indem er unwahrscheinlich, unmenschlich stillhält.
    »Immer noch besser er als du.«
    Alexander riss sich von den Schneeflocken los. »Wie meinst du das?«
    »Bei einem Mädchen wie ihr ist es besser, sie denkt an einen zurück. Besser, auf der richtigen Seite der Bilanz zu stehen, verstehst du? Du willst bestimmt nicht der Mann sein, der zwischen ihr und ihren Verflossenen steht. Dann doch lieber ein Verflossener.«
    »Vielleicht«, sagte Alexander, und dachte, dass er sich mit Iwans Formulierung anfreunden könnte. Vielleicht tauchte er gerade jetzt als schwarzweißer, holographischer Schemen in Elisabetas Hinterkopf auf und winkte ihr zu. Vielleicht suchte er sie gerade jetzt genauso heim wie sie ihn.
    Iwan setzte sich, dass das Sofa quietschte und die Papiere durcheinanderflogen. »Man bewohnt einen Ort erst richtig, wenn man dort mindestens einen größeren Verlust erlitten hat«, sagte er. Alexander spürte eine plötzliche Veränderung der Atmosphäre, eine fast schon körperliche Energie, und fragte sich, ob Iwan etwas dazu sagen würde. Doch der Augenblick verstrich, und Iwan lehnte sich zurück und klopfte Alexander auf die Schulter. »Gratulation zu deiner offiziellen Ankunft in Leningrad, Towarischtsch.«
    Alexander wollte ihm gerade scherzhaft danken, als das Fernsehbild sich plötzlich in schwarzweißes Rauschen auflöste. Als es sich wieder zusammensetzte, waren die Komödiendarsteller verschwunden, und statt ihrer blickte ein dunkel gekleideter Moderator starr in die Kamera und ließ eine Wortsalve los wie Gummigeschosse auf eine Horde Demonstranten.
    »Was soll das denn jetzt?«, fragte Alexander.
    »Psst.« Iwan drehte die Lautstärke auf und hockte sich direkt vor den Fernseher.
    »Worum geht es überhaupt?« Der Sprecher kündigte eine Sendungüber Stalins militärische Errungenschaften im Zweiten Weltkrieg an.
    »Psst.« Iwan kroch fast in die Bildröhre hinein. »Leise jetzt.« Beide lauschten angestrengt, doch der Moderator verbreitete sich nur weiter über die Pracht und Größe der

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