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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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»Jedenfalls wollte ich nur sagen, dass sie bei Jackson's als beste Verkäuferin des Jahres ausgezeichnet wurde. Es stand sogar im
Express.
Sie bekommt eine Reise nach Paris.«
    »Oh, das klingt toll. Freut mich für sie!«
    Überrascht stellte ich fest, dass ich mich wirklich von Herzen für Carole Benthorpe freute, nicht wegen Jackson's oder der Ehrung, sondern weil sie überlebt hatte, was wir ihr angetan hatten.
    In jenem kalten Winter 1974 - die Männer hingen auf den Straßen herum, statt unter Tage zu fahren, und die Frauen versetzten ihre Ringe und jammerten, wie sie ohne den Lohn über die Runden kommen sollten. Eines Tages nach der Schule lauerten ein paar Kinder Carole Benthorpe auf dem Heimweg auf. Sie rempelten sie an und schubsten sie herum, und dann wurde es ein bisschen rauer, und ein paar der Jungs warfen sie in den eisigen Kaulquappenteich am Ende der letzten Gasse. Alle jubelten und lachten, als sie zusahen, wie sie im Wasser zappelte. Auch ich -ich stand dabei und lachte mit den anderen. Voller Schrecken und Reue erinnerte ich mich, wie gut es sich angefühlt hatte, Teil der johlenden Meute zu sein. Schließlich kletterte Carole Benthorpe aus dem Teich, von Kopf bis Fuß mit Schleim überzogen, und rannte pudelnass und heulend nach Hause. Am nächsten Tag ritzte sie sich auf der Schultoilette mit einem Teppichmesser das Wort SCAB - Streikbrecher - in den Unterarm.
    »Wenn du sie siehst, Mama, grüß sie von mir.«
    »Ach, ich seh sie nie. Sie wohnt jetzt in Pontefract.«
     

41 - Für jedes Material den richtigen Klebstoff
    Am Montagnachmittag zuckelte ich halbherzig mit dem Staubsauger durchs Haus und machte mir Sorgen um meine Eltern, als das Telefon klingelte. Ich dachte, es wäre vielleicht meine Mutter mit Neuigkeiten über die Operation meines Vaters, aber es war Mrs. Shapiro.
    »Georgine, bitte kommen Sie schnell. Chaim macht Schwierigkeiten.«
    Das hatte ich schon fast erwartet. Anscheinend hatte Mr. Ali Mrs. Shapiro und Ismael mit dem roten Lieferwagen abgeholt, um im Baumarkt in Tottenham Farben auszusuchen. Nabil war zu Hause geblieben, um die Holzteile abzuschleifen, und hatte die Küchentür dabei offen gelassen. Als die anderen gegen vier mit fünf Litern matter Wandfarbe zurückkamen - »Eau de Nil, zauberhafte Farbe, Sie werden sehen« -, prügelten sich Nabil und Chaim auf dem Teppich im Esszimmer.
    »Sie kämpfen wie zwei Tiger. Sie müssen kommen, Georgine, und mit ihnen reden.«
    »Aber was habe ich damit zu tun?«
    »Warum widersprechen Sie immer, Georgine? Bitte kommen Sie schnell.«
    Bis ich dort war, war der Ringkampf, wenn er je stattgefunden hatte, vorbei, und am Esstisch herrschte ein ungemütlicher Waffenstillstand. Auf einer Seite des Tisches saß Mr. Ali, flankiert von den Nichtsnutzen; gegenüber saß Chaim Shapiro, schwer zurückgelehnt, mit gespreizten Armen und Beinen, als wäre der Stuhl zu klein für ihn, und ließ hin und wieder die Fingerknöchel knacken. Mrs. Shapiro saß neben ihm, rauchte Kette und spielte mit ihren Ringen. Wonder Boy saß auf einem Stuhl am Kopfende des Tischs und wirkte sehr autoritär. Als ich durch die Haustür kam, die sie für mich offen gelassen hatten, hörte ich sie streiten, doch kaum betrat ich das Esszimmer, wurden sie still. Ich setzte mich ans andere Tischende, Wonder Boy gegenüber.
    »Hallo zusammen!«, sagte ich und versuchte es mit einem fröhlichen Lächeln in die Runde. Niemand lächelte zurück. Die Atmosphäre war sauer wie geronnene Milch. Vielleicht sollten wir mit Ms. Baddiels Atemübungen anfangen, dachte ich, um uns alle zu beruhigen.
    Mrs. Shapiro schenkte mir aus einem Krug ein Glas Wasser ein, stellte mir den Neuankömmling als Chaim Shapiro vor und erklärte: »Das ist Georgine, meine gute Nachbarin.«
    Er ging sofort auf mich los, wollte wissen, warum ich diese Fremden in sein Haus geholt hatte -
»mein
Haus«, die Betonung ließ mich zusammenzucken -, aber bevor ich ein Wort sagen konnte, schlug Mrs. Shapiro zurück.
    »Es ist nicht dein Haus, Chaim. Ich wohne seit sechzig Jahren hier und zahle Steuern.«
    »Halt den Mund, Ella. Du hast hier überhaupt nichts zu sagen, mit diesen Arabern im Haus.« »Halt
du
den Mund«, fauchte Mrs. Shapiro zurück. Er ignorierte sie.
    »Also, Miss Georgiana. Bitte, wir warten auf Ihre Erklärung«, polterte er mit rauchiger Stimme, die Wonder Boys Schnurren nicht unähnlich war. »Sprechen Sie jetzt oder schweigen Sie für immer.«
    Ich begann zu erklären, dass im Haus

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