Das Leben kleben
Hintergrund konnte ich Radiomusik hören -eine Frau, die Blues sang.
»Das wollte ich dich auch fragen. Dieses Zukunftsentwicklungsprojekt. Worum geht es da eigentlich?«
»Hat Pete es dir nie erklärt?«
»Doch, er hat stundenlang darüber geredet. Aber er ist nicht gut im Erklären. Irgendwie habe ich es nicht begriffen.« »Es ist ein bisschen kompliziert.«
»Bei Rip war es genau dasselbe. Lauter große Worte. Mir ist klar geworden, dass ich anscheinend nicht besonders helle bin.« Sie gab ein selbstironisches Kichern von sich, das nicht unsympathisch war.
»Also ... warte kurz. Ich habe es irgendwo aufgeschrieben.« Wo war der Zettel? Ich durchsuchte die Schublade. »Hier hab ich es«, sagte ich laut. »Zu Beginn des Jahrtausends der Globalisierung ist die Menschheit mit nie da gewesenen Herausforderungen konfrontiert. Wenn wir uns erfolgreich an den Bestrebungen der sich entwickelnden Welt beteiligen wollen, müssen wir neue Synergien schaffen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Errungenschaften der entwickelten Welt nicht beeinträchtigt werden.«
Wieder entstand eine Pause. Die Bluessängerin gab ein langes, volltönendes Stöhnen von sich. »Das war's?« »Reicht das nicht?«
»Doch, ich schätze schon. Aber was heißt es genau?« »Warum fragst du nicht ihn?«
Wieder dieses Geräusch am anderen Ende der Leitung. Es konnte ein Schniefen sein, oder ein Kichern. Ich legte auf.
Ich griff nach der Gartenschere, zog die Gärtnerhandschuhe an und marschierte in den Garten. Die Sonne schien, doch mein Kopf war voller dunkler Wolken. Noch immer wütend auf Rip und die rotmundige Schlampe hackte ich erbarmungslos auf den hässlichen Lorbeerstrauch ein - Wonder Boys Stammplatz - und trat das alte Laub in den Matsch. Was fiel ihr ein, am Sonntagmorgen bei mir anzurufen und um Mitgefühl zu betteln? Schnipp. Irgendwie involviert! Schnapp. Ich glaube an Verantwortung! Schnipp schnapp. Ich hätte gleich auflegen sollen, als ich ihre Stimme hörte, statt mich überhaupt in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Jetzt war ich so aufgebracht und schlecht gelaunt, dass alle Gedanken an Frieden auf der Welt wie Wasser in der Wüste verdunsteten. Und doch hatte sie kurz das Gefühl, eine Leidensgefährtin zu haben, in mir ausgelöst, und ich war insgeheim froh, zu erfahren, dass trotz ihres großen roten Munds und der Nuttenstilettos Rips wahre Geliebte das Zukunftsprojekt war.
Etwa eine Stunde später klingelte das Telefon wieder. Ich schnippelte weiter und ließ es klingeln, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Nach einer Minute klingelte es von neuem. Und dann noch einmal. Was war das für eine beharrliche Nervensäge, die da mit mir sprechen wollte. Ich legte die Gartenschere weg und ging ans Telefon.
»Hallo, Georgina, ich versuche schon länger, dich zu erreichen.«
Diese Stimme. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als hätte eine kühle Hand meine nackte Haut berührt. Es war das erste Mal seit der Episode mit dem Gedicht und den Kletthandschellen, dass wir miteinander sprachen. »Hast du kurz Zeit? Ich wollte dich nur wissen lassen, was ich vom Katasteramt über Canaan House in Erfahrung gebracht habe.«
Ich holte tief Luft. Trotz meiner Entschlossenheit spürte ich, wie wieder das warme rote Spitzenschlüpferglühen über mich kam. Doch ich durfte meinen Hormonen nicht die Zügel schießen lassen.
»Und ...?«
Er sagte, dass das Haus nicht registriert war und dass Mrs. Shapiro, falls sie verkaufen wollte, es erst registrieren lassen müsste, wofür sie die Grundeigentumsurkunde brauchte. Ich musste mich zwingen, den Inhalt seiner Worte zu erfassen.
»Was ist mit dem Sohn, den du erwähnt hast, Georgina? Der Sohn in Israel? Vielleicht weiß er, wo die Urkunde ist.« Anscheinend war er immer noch auf Informationen aus.
»Ich habe ihn neulich kennengelernt.«
Ich erzählte ihm eine zensierte Version unserer Begegnung an der Tür. Von Mr. Ali und den Betreuern sagte ich nichts, doch ich erwähnte Damian.
»Damian Lee von Hendricks & Wilson. Stand da, kaute an seinem Bleistift und tat so, als würde er den Wert des Hauses einschätzen.«
»Aha!« Mark Diabello zog scharf die Luft ein. »Das erklärt den BMW, den ich neulich hinter ihrem Büro habe stehen sehen.«
»Damians Auftrag ist also ...?«
»Den Sohn zu überreden, dem freundlichen Bauunternehmer, den die Dame vom Sozialdienst empfiehlt, das Haus für, sagen wir, eine Viertelmillion zu verkaufen und dann mit dem
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