Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
Vom Netzwerk:
beruhigend. »Es ist wie bei Sainsbury's - der Überwachungsstaat. Aber Sie brauchen irgendein Dokument, aus dem hervorgeht, wie lange Sie schon hier leben. Was ist mit den Rechnungen für das Haus? Grundsteuer? Gas?«
    »Alle Papiere sind im Sekretär. Vielleicht ist da etwas dabei.« Sie setzte sich auf und blinzelte. »Werden die mein Haus durchsuchen?«
    »Ich bin mir sicher, es ist eine reine Formalität. Wenn Sie möchten, gehe ich und sehe nach.«
    Sie drehte sich um und deutete mit der verbundenen Hand hinter sich. »Der Hausschlüssel ist in meinem Mantel.«
    Im Schrank neben dem Bett hing ein dunkelbrauner Persianer mit Manschetten und Stehkragen, elegant tailliert, doch mit unübersehbaren Mottenlöchern und kahlen Stellen am Rücken. Sie sah, wie ich den Mantel musterte.
    »Gefällt Ihnen der Mantel? Sie können ihn haben, Georgine.«
    »Er ist sehr schön, aber ...«
    Er roch nach altem Käse.
    »Bitte. Nehmen Sie ihn. Ich habe noch einen. Was ist denn - gefällt er Ihnen nicht?«
    »... ich glaube, er ist mir ein bisschen zu klein.«
    »Probieren Sie ihn. Probieren Sie ihn an.«
    Ich zog den Fledermausmantel aus und versuchte mich unter demonstrativen Schwierigkeiten hineinzuzwängen. Das Satinfutter war unter den Achseln gerissen, und das Fell um die Knöpfe und Manschetten glänzte speckig, doch es war noch ein Hauch des Luxus zu spüren, den er einst verbreitet hatte. Vor fünfzig Jahren musste es ein hochklassiger Mantel gewesen sein.
    »Steht Ihnen gut, Darlink. Nehmen Sie ihn. Ist besser als Ihr Mantel.«
    Es stimmte, mein alter brauner Fledermausdufflecoat hatte schon 1985 eher in der Regionalliga gespielt.
    »Er ist wunderschön. Danke. Aber sehen Sie, er passt nicht.« Ich tat so, als bekäme ich die Knöpfe nicht zu.
    »Sie brauchen mehr Eleganz, Georgine. Und diese Schuhe! Warum tragen Sie keine Absätze?«
    »Wahrscheinlich haben Sie recht, Mrs. Shapiro, aber ich habe es lieber bequem.« Ich schob die Hände in die tiefen, satingefütterten Taschen. »Wo ist der Schlüssel?«
    »Immer in der Tasche. Wenn Sie einen Mann kriegen wollen, müssen Sie eleganter werden, Georgine.«
    Ich ging die Taschen durch. Ein ekliges rotzverkrustetes Stofftaschentuch mit Spuren von getrocknetem Blut, eine Streichholzschachtel, ein Zigarettenstummel, ein klebriges Bonbon voller Flusen, ein halber zerkrümelter Keks, der alles andere mit grauen Krümeln bedeckte hatte, und eine Pfundmünze. Kein Schlüssel.
    »Muss da sein. Vielleicht ist er im Futter gelandet.«
    Er war durch ein Loch in der Tasche gerutscht und hing unten im Saum des Futters, zusammen mit einem Kajalstummel, zwei weiteren Zigarettenkippen, einem Apfelbutzen und etwas Kleingeld. Ich fischte alles aus dem Loch und brachte es in der anderen Tasche unter.
    »Hier ist er. Ich werfe einen Blick in den Sekretär und sehe mal, ob ich etwas finde, das die Bürokraten glücklich macht.«
    »Aber nur in den Sekretär schauen. Nicht überall die Nase reinstecken,
    Georgine.« Mit einer nervösen Handbewegung glättete sie die Bettdecke. »Darlink, ich mach mir solche Sorgen um Wonder Boy. Wenn Sie im Haus sind, stellen Sie ihm bitte etwas zu essen hin? Die anderen Katzen gehen auf die Jagd, aber der arme Junge ist immer hungrig. Und wenn Sie wiederkommen, Georgine, bringen Sie mir ein paar Zigaretten mit, ja?«
    »Ich glaube nicht, dass Sie im Krankenhaus rauchen dürfen, Mrs. Shapiro.«
    »Nichts darf ich.« Sie seufzte wieder theatralisch. »Nur schlafen und Wurst essen.«
    Im Nachbarbett gab die Frau mit der Sauerstoffmaske ein schreckliches Gurgeln von sich. Zwei Schwestern eilten herbei und zogen die Vorhänge um das Bett zu. Das Gurgeln zog sich in die Länge. Das Klappern von Instrumenten war zu hören, und leise Stimmen, die in dringlichem Tonfall flüsterten.
    »Sie müssen mich hier rausholen, Georgine.« Mrs. Shapiro packte wieder mein Handgelenk. »Alle hier sind krank. Alle sterben.«
    Ich streichelte ihre Hand, bis ihr Griff lockerer wurde. »Bald sind Sie wieder daheim. Soll ich Ihnen sonst noch etwas mitbringen?«
    Sie lächelte mich gewinnend an. »Wenn Sie Wonder Boy mitbringen würden ...«
    »Ich glaube nicht, dass Haustiere hier erlaubt sind.« Vor allem nicht Wonder Boy, dachte ich, mit seinen widerlichen Angewohnheiten. »Das Foto von Artem? Möchten Sie es vielleicht bei sich haben? Dagegen hätte sicher niemand etwas.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hier treiben sich zu viele Diebe herum. Aber Wonder Boy würde niemand

Weitere Kostenlose Bücher