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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Musik, die stürmische, in die Höhe schnellende Melodie mit dem glücklichen Ende, die mich gestern Abend mitgerissen hatte. War das ein Traum gewesen? Ja, ein Traum.
    Bei unserer Hochzeit hatte der Organist
Der Einzug der Königin von Saba
gespielt, und mein Vater hatte seine atheistischen Skrupel so weit überwunden,
    dass er mich an seinem Arm zum Altar führte. Es war die erste Begegnung zwischen Rips Eltern und meinen, und die Stimmung war quälend höflich. Rip hatte diskret den Kupferstich des Kohlebergwerks in Staffordshire abgehängt, das 1882 einem seiner Ahnen gehört hatte, und ich hatte meinen Vater überredet, nicht die Krawatte der Bergarbeitergewerkschaft zu tragen. Mr. Sinclair plauderte mit meinem Vater über Rugby, indem er von seiner Schul-Rugbymannschaft erzählte, ohne die Tatsache zu erwähnen, dass es seine Schule war, nach der der Sport benannt war; mein Vater tat sein Bestes mitzuhalten, ohne auf dem Unterschied zwischen Rugby Union und Rugby League herumzureiten. Mrs. Sinclair machte meiner Mutter Komplimente für ihren Hut, und meine Mutter bat sie um das Rezept für ihre Schokoladen-Profirollen; Mrs. Sinclair umging die Frage, ohne zu erwähnen, dass alles, die Profiteroles eingeschlossen, von einem Catering-Service in Leek kam. Meine Mutter sagte nichts zu den Oliven auf den Kanapees, doch ich sah ihren argwöhnischen Blick. Es war 1985, und Oliven hatten Kippax noch nicht erreicht. Sicherheitshalber ließ sie sie unter einem Sitzkissen verschwinden. Später sah ich, wie Mrs. Sinclair dem Pfarrer die Hand schüttelte, während an ihrem Hintern drei Oliven klebten.
     
    Zwischendurch schenkte ich mir ein großes Glas Wasser ein, dann ging ich wieder ins Bett, und als ich später am Nachmittag aufwachte, ging es mir viel besser. Ich ging nach unten, um im Kühlschrank nach etwas Essbarem zu suchen, und goss mir stattdessen ein Glas Wein ein. Mein Magen war immer noch ein bisschen empfindlich nach dem Trauma vom Samstagabend, und wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, bei Toast und Tee zu bleiben, aber ich brauchte etwas Aufmunterndes. Der Alptraum von vorhin saß mir noch im Nacken. Und ich vermisste Ben. Noch drei Tage, bis er wieder bei mir war. Ich nahm mein Weinglas mit nach oben, und als ich sah, dass die Tür zu seinem Zimmer angelehnt war, ging ich ohne bestimmten Grund hinein.
    Es roch nach Ben, oder genauer, es roch nach Bens Socken; und da lagen sie, auf einem Haufen Schmutzwäsche neben der Tür. Außerdem lagen auf verschiedenen Haufen seine Schulkleidung, seine Freizeitkleidung, die Bücher, die er halb gelesen hatte, die Bücher, die er nie lesen würde, Schulbücher, Notizbücher und lose Blätter, die vielleicht mal zu Büchern gehört hatten, ein umgefallener Stapel DVDs, ein paar CDs und mehrere Teile mysteriöser Elektronika. Auf dem Schreibtisch lag ein dreieckiges Stück vertrocknete Pizza mit zwei symmetrischen Bissspuren, auf jeder Seite eine, neben einer halbleeren Flasche mit grellgrüner Flüssigkeit auf dem Mousepad. An den Wänden hingen Poster von den Arctic Monkeys, Amy Winehouse und ein
Herr-der-Ringe-Plakat
mit der Großaufnahme eines Ork-Gebisses. Mein Blick wanderte über die vielbeschäftigte Unordnung und ich lächelte in mich hinein - der liebe Ben.
    Der Schreibtisch war eine Deponie zerknüllter Zettel, zerbrochener Kulis, zerkauter Bleistifte, Flaschendeckel, Kaugummis, Bonbonpapierchen, Flugblätter, Taschentücher, alles voller Spritzer eines klebrigen braunen Zeugs - vielleicht die Reste eines heißen Kakaos -, das auch an der Tastatur seines Computers war und sogar auf dem Bildschirm, wo stumpfsinnig das Windows-Logo umherschwirrte.
    Ein kleines Foto klebte am unteren Rand des Bildschirms. Als ich näher hinsah, zog sich mein Herz zusammen. Es waren Ben und Stella. Sie saßen auf einer Parkbank im Grünen und grinsten breit.
    Ich beugte mich vor, um noch näher hinzusehen - Bens unschuldiges Grinsen mit offenem Mund; Stellas hübsches Lächeln, gekonnt und selbstbewusst. Dabei blieb mein Ärmel an meinem Weinglas hängen, das umfiel, sich über den Tisch ergoss und sich mit dem braunen Zeug vermischte. Ich zerrte ein Taschentuch aus der Tasche und begann hektisch den Wein aufzutupfen, wobei ich achtgab, nichts zu verändern, zum Teil deshalb, weil ich nicht wollte, dass Ben mitkriegte, dass ich mich in seinem Zimmer umsah. Als ich die Maus abwischte, erwachte plötzlich der Computer zum Leben. Der Bildschirm leuchtete auf - ein schwarzer

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