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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Hintergrund mit einem einzelnen Wort darauf, das rot blinkte und mit flackernden Flammen verziert war:
Armageddon.
Es sah aus wie irgendein blödes Computerspiel.
     
    Nach dem Fischessen mied ich Mrs. Shapiro ein paar Wochen, und dann vergaß ich sie. Mein Leben ging weiter seinen hinkenden Gang: Ben, kein-Ben, Ben, kein-Ben. Allmählich lernte ich mit dem Hinken zu gehen, und mit der schwarzen Unterhose über dem Kopf schlief ich besser. Manchmal, um mich aufzuheitern, träumte ich von Rache. Im
Verspritzten Herz
plante die zupackende Gina, nachdem sie Ricks Seitensprünge aufgedeckt hatte, eine dramatisch unangenehme Revanche, die mit extrascharfem Madras-Gemüse-Curry zu tun hatte und/oder einem subtileren Ansatz auf der Basis von Fischsuppe, mit Pipi verdünnt.
    Eines trüben Novembernachmittags saß ich an meinem Laptop und versuchte über Klebstoffe zu schreiben, wandte mich aber alle paar Minuten heimlich dem aufgeschlagenen Schreibheft zu, als das Telefon klingelte.
    »Mrs. Georgina Sinclair?« Eine unbekannte Frauenstimme, die kreischte wie ein rostiges Gartentor.
    »Ja. Mehr oder weniger. Mit wem spreche ich?«
    »Ich bin Margaret Goodknee aus dem Whittington Hospital.«
    Meine Hände wurden kalt und mein Herz begann zu rasen. »Was ist passiert?«
    »Wir haben eine Mrs. Naomi Shapiro in der Notaufnahme.« »Oje.«
    Ich muss gestehen, ich spürte nur Erleichterung. Nicht Ben. Nicht Stella. »Auf dem Aufnahmebogen sind Sie als nächste Angehörige angegeben.«
     

Teil 2
Abenteuer mit Polymeren

7 - Freie Auswahl
    Warum ich?, fragte ich mich halb neugierig und halb genervt, während ich auf der Suche nach Mrs. Shapiro die langgezogene, belebte Station durchquerte. Hat sie niemanden, der ihr näher steht?
    Endlich fand ich sie, zusammengeschrumpft in ihrem Krankenhausbett, nur das kleine Gesicht lugte zwischen den Laken hervor, umrahmt von zotteligen schwarzen Locken. Der graue Ansatz an ihrem Scheitel war mehrere Zentimeter breit, doch abgesehen davon sah sie ohne ihr grelles Make-up sogar besser aus als vorher. »Mrs. Shapiro? Naomi?«
    Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie mich erkannte, und sie zog die Hand unter der Decke heraus, um meine zu halten.
    »Georgine? Gott sei Dank, dass Sie da sind. Sie müssen mich hier rausholen.«
    »Ich tue mein Bestes, Mrs. Shapiro. Sobald es Ihnen besser geht. Was ist denn passiert?«
    »Auf dem Eis ausgerutscht. Gebrochenes Handgelenk.«
    Sie winkte mit der linken Hand, die eingegipst und festgezurrt war, so dass die Finger herausragten wie krumme graue Zweige mit abgesplittertem Nagellack an den Spitzen.
    »Sie müssen mich hier rausholen. Das Essen ist grauenhaft. Ich muss Würstchen essen.«
    »Soll ich sagen, Sie möchten koscher essen?«
    »Ich will koscher, aber freie Auswahl. Kein Schinken, keine Wurst. Aber Speck.« Sie blinzelte mir verschwörerisch zu. »Ein bisschen manchmal macht ja nichts, nich wahr?«
    Die zuständige Schwester war eine kleine stramme Frau mit straff zurückgebundenem Haar, die keinen Spaß verstand. Über das Konzept von koscherem Essen mit freier Auswahl rümpfte sie die Nase, also bat ich sie, Mrs. Shapiro auf eine koschere Diät zu setzen. Sie schrieb etwas in das Krankenblatt, dann sagte sie: »Anscheinend hat sie keinen Hausarzt. Wir brauchen ihre Versicherungskarte oder sonst ein Dokument, um zu prüfen, welche Ansprüche sie hat.« Anscheinend sah sie, wie ich die Lippen zusammenpresste. »So ist das Gesetz. Ich muss mein Kreuzchen machen.«
    Als ich zurück an ihr Bett kam, hatte sich Mrs. Shapiro aufgesetzt, wirkte putzmunter und versuchte gerade mit ihrer Bettnachbarin ins Gespräch zu kommen, die auf dem Rücken lag und durch eine Sauerstoffmaske atmete.
    »Mrs. Shapiro«, fragte ich, »haben Sie einen Hausarzt?«
    »Wofür brauche ich einen Arzt?« Sie war in kampflustiger Stimmung. »Die jungen Kerle, was wissen die schon? Wollen nur schmutzige Fragen stellen. Wann waren Sie das letzte Mal auf der Toilette? Strecken Sie die Zunge raus. Was für ein Arzt sagt so was? In Deutschland hatten wir Doktor Schinkelmann - das war ein echter Arzt.« Ihre Augen glänzten verträumt. »Gute rote Medizin. Hat nach Kirschen geschmeckt. Und viele Tabletten für Mutti.«
    »Haben Sie eine Versichertenkarte? Oder sonst einen Ausweis?«
    Sie seufzte theatralisch und fuhr sich mit der gesunden Hand über die Stirn.
    »Siebzig Jahre bin ich in diesem Land, und keiner hat mich je nach einer Karte gefragt.«
    »Ich weiß«, sagte ich

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