Das Leben kleben
Weihnachten ohne Ben und Stella, und ich spürte eine wunde Lücke im Herzen. Außerdem machte ich mir Sorgen um meine Eltern, und das Schlimmste war, dass sie sich auch Sorgen um mich machten. Mein Vater war immer noch nicht ganz auf dem Damm. Die letzte Leistenbruchoperation hatte ihm zugesetzt, doch er war fest entschlossen, es sich nicht anmerken zu lassen; er wanderte in seinen neuen Nikolaushausschuhen durch den Bungalow und hängte überall Weihnachtsflitter auf. Ein-, zweimal, als er dachte, dass ihn niemand beobachtete, sah ich, wie er das Gesicht verzog. Heizung und Fernseher liefen auf Hochtouren. Mama bewegte sich wie in Trance durch die Küche, ein Rentiergeweih aus Schaumstoff auf dem Kopf, und fragte sich, was sie mit der Brotsoße gemacht hatte. Sie ließ sich nicht davon abbringen, dass Weihnachten richtig gefeiert werden musste, mit allem Drum und Dran.
Als ich noch zu Hause wohnte, hatten Mama und ich uns Heiligabend immer zur Mitternachtsmette in St. Mary hinausgeschlichen. Mama sang gern Weihnachtslieder. Sie schmetterte sie laut und immer einen Ton daneben, und mir war das lange schrecklich peinlich. Doch als ich älter wurde, gewöhnte ich mir einen ausdruckslosen Was-gibt's-da-zu-glotzen-Blick an, wenn sich vor uns die Leute umdrehten, um nachzusehen, wo der Krach herkam. Mein Vater blieb starrköpfig zu Hause und spielte seine alten Woody-Guthrie-Platten. Keir, mein jüngerer Bruder, ging mit seinen Kumpeln ins Pub. Aber dieses Jahr ließ sich Mama nicht mal von der Aussicht auf lauten Gesang hinaus in die Kälte locken, und wir setzten uns zu dritt vor den Fernseher.
Am ersten Weihnachtsfeiertag gab es statt des traditionellen Truthahnbratens Truthahnbrust im traditionellen Stil aus dem Kühlregal, der eine Tüte Brotsoße beilag - die Mama verlegt hatte. Also rührte mein Vater Soße aus Instantpulver und warmem Wasser an. Er band sich extra eine Schürze dafür um.
»Ich wette, du hättest nicht gedacht, dass ich mich noch mal in einen neuen Mann verwandele, Jean«, sagte er zu meiner Mutter.
»Nein, wirklich nicht«, sagte meine Mutter. »Wo sind die neuen Teile?«
Sie war damit beschäftigt, Bratwürstchen in der Mikrowelle aufzutauen. Die Packung stammte von Netto aus dem Niedrigpreis-Segment. Sie erinnerten mich an Ms. Bad Eels Finger, rosa und plump. Als ich in eins hineinbiss, spritzte rosa Saft heraus.
Mama deckte auch für Keir - er bekam das Tischset mit dem Loch Lomond, das immer sein Lieblingsset gewesen war. Ich kriegte wieder mal nur Edinburgh Castle ab.
»Auf die Lieben, die nicht bei uns sein können!« Sie hob ein Glas mit lauwarmem süßem Wein - ihr drittes. »Und Tod den Irakern.« Das Rentiergeweih war ihr in die Stirn gerutscht und zeigte nach vorn, als würde sie gleich damit zustoßen.
»Mama«, flüsterte ich, »Keir soll die Iraker befreien, nicht umbringen.« Aber es war zu spät. Mein Vater beugte sich vor und schlug mit den Händen auf den Tisch.
»Er sollte überhaupt nicht dort sein!« Seine Stimme war laut genug, dass ihn die Nachbarn hören konnten. »Wenn sie die Gruben nicht dichtgemacht hätten, müssten sie jetzt nicht so wild hinter dem Öl her sein, oder?«
Der Irakkrieg hatte ihre Differenzen scharf hervorgehoben: Meine Mutter stand leidenschaftlich hinter ihrer Familie, mein Vater stand stur hinter seinen Prinzipien.
»Fang heute nicht damit an, Dennis. Es ist Weihnachten.« Mama legte ihm die Hand auf den Arm. Sie trug all ihre Ringe: Gold, Saphir und Diamant.
»Aye, aber die da unten haben kein Weihnachten, oder?«, sagte Papa, stets der Internationalist.
Die Lichter am Weihnachtsbaum blinkten im Wettstreit mit dem stumm geschalteten Fernseher in der Ecke, wo sich die Sängerknaben vom King's College lautlos die Seele aus dem Leib schmetterten.
»Wie findet ihr die Truthahnbrust?«, fragte Mama, um das Thema zu wechseln. »War ein Sonderangebot.«
Papa ließ sich nicht ablenken. »Mir war es lieber, man hätte Tony Blair zusammengeschnürt und kross gebraten. Mitsamt den Innereien.«
Mama beugte sich zu mir und flüsterte laut: »Ich weiß nicht wieso, aber Weihnachten bringt ihn jedes Mal in Rage.«
Als sie das sagte, fiel mir ein anderes Weihnachtsfest ein - es war lange vor dem großen Streik, ich musste also etwa zehn gewesen sein, und Keir fünf. Eine Gruppe Weihnachtssänger war an die Tür gekommen. Es waren Kinder aus meiner Schule.
Sie klingelten, und als mein Vater die Tür aufmachte, fingen sie mit ihren dünnen hohen
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