Das Leben kleben
erzählen, von Attlees großer Einigung, als Familie, Gemeinde, Grube, Gewerkschaft, Regierung, England und die Vereinten Nationen alle nahtlos ineinander übergingen. Der Verstaatlichung des Kohlebergbaus verdankte er alles, was er hatte, und auch er hatte seinen Anteil geleistet, hatte sich in der Abendschule zum Steiger ausbilden lassen, unter Tage beim Schein seiner Grubenlampe Lehrbücher studiert, weil er fest daran glaubte,
dass er seine Fähigkeiten um derentwillen ausbauen musste, die weniger fähig waren als er. Doch als 1986 Ledston Luck geschlossen wurde, zusammen mit 160 weiteren Gruben, nach dem britischen Bergarbeiterstreik, wurden Männer wie mein Vater und mein Bruder aus dieser alles umfangenden Gemeinschaft hinausgeworfen und landeten in einer anderen Welt. »Maggies England«, nannte es mein Vater mit beißendem Hohn. Sein England war es nicht mehr.
Keir - damals gerade einundzwanzig - kam darüber hinweg, indem er sich eine neue Familie zulegte: Die Royal Engineers füllten die Lücke, die Grube und Gewerkschaft hinterlassen hatten. Es gab Postkarten, auf denen Keir an exotischen Orten Brücken baute, umringt von lächelnden dunkelhäutigen Kindern; Keir in Zivil mit einem Bier vor einer atemberaubenden schneebedeckten Bergkulisse; Keir und seine Kameraden mit Helmen grinsend vor einem Jeep in irgendeinem Wüstenwinkel. »Schau dir an, wo unser Bub jetzt gelandet ist«, murmelte meine Mutter und strich mit dem Finger über die glänzenden Fotos.
Mein Vater wurde ins Kohlenrevier Selby versetzt, und als sie auch dort dichtmachten, war er jung genug für eine Abfindung, alt genug für eine passable Rente und lebenslange Versorgung mit Kohlen, und politisch genug, um den Vorsitz der örtlichen Labour Party zu übernehmen. Von nun an widmete er sein Leben dem Ziel, die Eiserne Lady zu stürzen, und er verfolgte es mit dem gleichen verbissenen Eifer, mit dem er einst nach Grubengas geschnüffelt hatte. Dass Keir zur Armee ging, verzieh er ihm nie ganz, genauso wenig wie mir, dass ich Rip geheiratet hatte, und trotzdem stand er immer zu uns, genauso wie zur Labour Party, selbst als Tony Blair sich, wie er sagte, als Mini-Maggie entpuppte.
Mama dagegen blühte im Laufe der Achtziger auf. Sie liebte Schulterpolster und Modeschmuck. Sie liebte es, während des Streiks organisierte Busfahrten mit lauten Sprechchören mitzumachen. Später beschloss sie, sich nicht geschlagen zu geben, sondern ihr neu entdecktes Organisationstalent zu nutzen, und schrieb sich für einen Buchhaltungs-Abendkurs in Castleford ein. Gerade als mein Vater sich damit abfand, sich zur Ruhe zu setzen, öffnete meine Mutter die Tür zu einer neuen Karriere. Sie übernahm die Buchhaltung für Pete's Fish and Chips, Annies Antiquitäten, Abduls Kiosk, Haarige Zeiten und verschiedene andere kleine Läden, die in den früheren Kohlestädtchen kamen und gingen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie finanziell unabhängig. Dann, etwa zur selben Zeit, als Rip und ich uns trennten, ließ die Sehkraft auf ihrem linken Auge nach. Es sei ein langsamer Prozess, sagte der Arzt, aber fortschreitend.
Irgendwo im dunklen Haus hörte ich eine Tür und die Toilettenspülung. Es musste Papa sein, der genauso stur mit seiner Prostata kämpfte wie früher mit dem Großkapitalismus. Dann hörte ich wieder Wasser rauschen und Stimmen in der Küche. Der Kessel pfiff, Tassen klapperten. Tagsüber ließen sie sich meinetwegen nichts anmerken, doch nachts kamen ihre Sorgen zurück und bedrängten sie. Sie konnten nicht schlafen, und so tranken sie eine Tasse Tee zusammen. Meine Eltern.
Ich lag im Dunkeln, lauschte ihrem Gemurmel und dachte über Weihnachten nach. Eigentlich war es keine sehr schöne Geschichte. Gut, ein Baby wurde geboren, und es kamen Engel vor und ein Stern in der Dunkelheit - dieser Teil war nicht schlecht -, aber was war mit der armen Maria, die den ganzen Weg auf dem Esel reiten musste, in ihrem Zustand? Den drei Königen mit ihren ominösen Geschenken? Und dem Massaker an den Unschuldigen? Und das war erst der Anfang; danach kamen Kreuzigungen, eine Wiederauferstehung - und Armageddon und die Wiederkunft standen uns noch bevor.
Das Gespräch mit Ben über Jesus und das Ende der Welt fiel mir wieder ein, die Angst in seinen Augen, als er versuchte, das Irrationale zu erklären. Ja, Weihnachten war eine gefährliche Zeit, dachte ich. Manchmal war es besser, zu Hause zu bleiben und abzuwarten, bis der Sturm vorüberzog.
19 - Die
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