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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Feiertage
    Als ich nach dem Zweiten Weihnachtsfeiertag nach London zurückkehrte, wartete Wonder Boy mit einem toten Vogel vor meiner Haustür. Ich nahm an, dass es seine Vorstellung von einem Geschenk war, deshalb ließ ich ihn in die Küche und gab ihm ein Tellerchen Milch, entgegen meinem Vorsatz, ihn für seine Taten nicht auch noch zu belohnen. Aber schließlich war Weihnachten. Er dankte es mir, indem er den Schwanz hob und seine Duftmarke an die Spülmaschine klebte. Danke, Wonder Boy.
    Ben würde erst in ein paar Tagen zurückkommen. Selbst bei
Klebstoffe
war Weihnachtspause - die nächste Ausgabe kam erst Anfang März heraus. Nathan rief an, um mir ein frohes neues Jahr zu wünschen und mir einen Witz zu erzählen.
    »Was macht Bindungen fester als Kleister und kann trotzdem Haftungsprobleme verursachen?«, raunte er verschwörerisch. »Ich weiß es nicht. Was denn?«
    »HybridVerbindungen. Hybrid Bonds. Erst wirst du geleimt und dann genagelt. Hm?« Ich stellte ihn mir am anderen Ende der Leitung vor, wie er mit aufgeknöpftem weißem Kittel lässig dasaß und harzig gluckste. Nachdem er aufgelegt hatte, braute sich die Stille über mir zusammen.
    In der ersten Nacht wälzte ich mich in meinem halb leeren Ehebett von einer Seite zur anderen und sehnte mich zurück nach meinem Zimmer in Kippax mit dem lauten Fernseher und meinen Eltern, die mitten in der Nacht Tee tranken. Natürlich wusste ich, wenn ich dort geblieben wäre, hätte ich mich hierhergesehnt - es ging nicht um hier oder dort, es lag an mir und nagte von innen.
    Es sind Momente wie dieser, in denen wir Trost in der Literatur suchen. Also machte ich mir eine Tasse Tee und nahm mein Schreibheft heraus.
     
    Das verspritzte Herz Kapitel 5
     
    Weihnachten in Holty Towers war eine Orgie der Völlerei und des Konsums, die Gina
gefährlich verlockend
ausnehmend widerlich fand. Mrs.
Sinclair
Sinster schenkte Mr.
Sinclair
Sinster eine
Yacht einen Privatjet eine Rolcx einen silbernen Flachmann ein Set Golfschläger, obwohl er bereits vier Sets besaß, weil er auch alles andere schon in mehreren Ausführungen besaß.
     
    Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was solche Leute einander schenkten. Auch wenn die Sinclairs nicht so superreich waren wie die Sinsters in
Das verspritzte Herz,
waren Ben und Stella ihre einzigen Enkelkinder, und an Weihnachten übertrieben sie es gewöhnlich mit Geschenken. Stella nahm alles mit überschwänglichem Dank entgegen, und als sie alt genug war, schaffte sie es sogar, ihren Wohltätern die Quittungen abzuschwatzen, so dass sie die Sachen gegen das,
    was sie wirklich wollte, umtauschen konnte. Ben nahm alles mit schlechtem Gewissen an und spendete die unwillkommenen Geschenke ans Tierheim, wo er eine besondere Beziehung zu einem geretteten Esel namens Dusty entwickelte. Ben und Stella; so lieb, so verschieden. Ich klappte das Heft zu, lag still im Dunkeln, stellte mir ihre Gesichter vor und vermisste sie.
     
    Am Abend vor Silvester klingelte etwa fünf Minuten vor Mitternacht das Telefon. Es riss mich unsanft aus einem tiefen, wirren Schlaf. Ich tastete nach dem Hörer und der Nachttischlampe und schaffte es dabei, ein Glas Wasser auf den Boden zu stoßen. »Hallo?«
    »Ich bin's.« Die Stimme klang gedämpft und piepsig. »Wer ist da?« »Ich bin's. Ben.«
    »Ben! Was ist los? Weißt du, wie viel Uhr es ist?«
    »Mum, bist du morgen da? Ich komme heim. Ich hab meinen Schlüssel vergessen.«
    Seine Stimme klang fremd - leicht heiser, mit der Spur eines Londoner Akzents, der mir bisher nicht aufgefallen war.
    »Natürlich. Aber ich dachte, du bleibst bis nach Neujahr.«
    »Wollte ich auch. Aber jetzt fahre ich morgen schon. Der Zug kommt um zehn nach drei an.«
    In seiner Stimme lag die Andeutung eines Zitterns. Wenn ich nicht seine Mutter wäre, hätte ich es nicht gemerkt. »Soll ich dich vom Bahnhof abholen?« »Nein, schon gut. Ich nehme den Bus.« »Ist alles in Ordnung?« »Ja. Alles klar.« »Aber warum ...?«
    »Ich erzähle es dir, wenn wir uns sehen.«
    Klick.
    Danach brauchte ich über eine Stunde, bis ich wieder einschlafen konnte. Es muss etwas passiert sein, dachte ich. Es muss Krach gegeben haben.
     
    Es war halb fünf, als Ben am nächsten Tag endlich zu Hause ankam. Entweder hatte der Zug Verspätung oder es war kein Bus gefahren. Ich ertappte mich dabei, dass ich immer wieder zur Uhr sah, mit der gleichen besorgten Ungeduld wie früher, wenn Rip von einer Geschäftsreise zurückkam. Dann klingelte

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