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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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sagte Mrs. Shapiro. »Jemand hatte den Wasserhahn draußen abgestellt. Mr. Ali hat ihn unter der Hintertür gefunden. Er ist ein richtiger Clever-Knödel!«
    »Haupthahn war zu«, nickte Mr. Ali strahlend. »Jetzt wieder auf.«
    »Aber warum?«
    »Wie kann ich wissen?« Er zuckte nachsichtig die Schultern. »Ich bin Handwerker, kein Bsichologe.«
    »Das ist wirklich merkwürdig«, sagte ich. Meine Gedanken rasten. Wer würde so etwas tun?
    Mr. Ali trank seinen Tee aus und stand auf.
    »Irgendein Broblem, Sie rufen mich an, Mrs. Naomi.« (Er sprach ihren Namen Nah-oh-meh aus.)
    »Warten Sie, ich muss Sie noch bezahlen. Wie viel kostet es?« Mrs. Shapiro kramte in einer braunen kunstledernen Einkaufstasche herum, die unter dem Tisch stand.
    »Ist schon gut. Diesmal kostenlos. Ich habe nichts getan. Nur Hahn aufgedreht.« »Aber ich muss Ihnen was dafür geben, dass Sie extra hergekommen sind.« »Sie haben mir Tasse Tee gegeben.«
    Er schlang sich sein Werkzeugtäschchen um die Schulter, und ich stand auf, um ihn zur Tür zu bringen. »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte ich und folgte ihm in die Halle.
    Plötzlich blieb er an dem putzigen kleinen Telefontischchen mit den gedrechselten Beinen stehen. Erst dachte ich, er wäre in den Katzenhaufen getreten, aber dann sah ich, wie er das gerahmte Foto von dem steinernen Torbogen anstarrte. Er beugte sich vor, um näher hinzusehen.
    »Sieht recht alt aus, oder?«, sagte ich im Plauderton, obwohl ich keine Ahnung hatte.
    »Kirche von heilig Georg«, sagte er. »In Lydda.« »Lydda.« Ein Ort, keine Person. »Sind Sie schon mal da gewesen?« »Einmal bin ich zurückgegangen. Auf Suche nach meine Familie.« Er sprach so leise, dass er fast flüsterte. »Ich wurde in der Nähe geboren.« »In Griechenland?« Ich war überrascht. Er sah nicht aus wie ein Grieche. Er schüttelte den Kopf. »Palästina.«
    Bevor ich wusste, was ich sagen sollte, war er durch die Haustür verschwunden. Ich hörte seine Fahrradklingel, als er das Rad über den gepflasterten Weg schob. Als ich in die Küche zurückging, strahlte Mrs. Shapiro mich an.
    »Sehr netter Paki«, sagte sie.
    Ich erwähnte nicht, dass er Palästinenser war.
     
    In meinem Kopf ging immer noch alles durcheinander. Die Geschichte entwickelte sich viel komplizierter, als ich gedacht hatte. Nichts war, was es zu sein schien. Lydda war keine Person, sondern ein Ort; Mr. Ali kam nicht aus Pakistan, sondern aus Palästina; und jemand hatte Mrs. Shapiro das Wasser abgedreht. Wieso? War es nur ein dummer Streich? Oder eine Drohung? Je mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich, dass es Mr. Wolfe gewesen sein musste. Wahrscheinlich hatte er hier herumgeschnüffelt und dabei den Haupthahn entdeckt. Er wusste, wie verletzlich sie war. Er hatte da gesessen, auf ihrem Küchenstuhl, und sie mit Sherry und Komplimenten bezirzt. Das war das Zuckerbrot. Und nachts, als sie allein war, hatte er die Peitsche herausgeholt.
    Im nächsten Moment klingelte das Telefon. Mrs. Shapiro schlurfte in die Halle. Ich sah durch die offene Tür, wie sie beim Telefonieren gestikulierte.
    »Nicky! Sie haben meine Nachricht bekommen ... danke, dass Sie zurückrufen ... Es ist alles in Ordnung. Das Wasserproblem ist gelöst, aber Sie können trotzdem vorbeikommen. Georgine ist auch hier ... Ach so. Macht nichts. Wenn Sie Lust auf einen Kaffee bei mir haben, sind Sie immer eingeladen. Ja, auch Ihnen fröhliche Weihnachten, Nicky.« Sie klimperte mit den Wimpern, als würde er vor ihr stehen. Als sie aufgelegt hatte, drehte sie sich zu mir um.
    »Sehr netter Mann. Er wäre der perfekte Ehemann für Sie, Georgine. Reich. Gutaussehend. Was sagen Sie dazu?«
    Ich lachte. »Nicht ganz mein Typ.«
    »Ach, ihr jungen Mädchen! Ihr habt viel zu viel Auswahl heutzutage. Zu meiner Zeit musste man, wenn man einen guten Mann getroffen hat, sofort zuschlagen.«
    »Haben Sie das so gemacht, Mrs. Shapiro? Haben Sie zugegriffen wie bei den Würstchen im Supermarkt?«, neckte ich.
    Plötzlich umwölkte sich ihr Gesicht. Sie begann im Aschenbecher nach einem Zigarettenstummel zu suchen und runzelte die Stirn, während sie den längsten auswählte.
    »Wissen Sie, im Krieg sind so viele Männer gestorben. Wenn du einen gesehen hast, der dir gefallen hat, hast du ganz schnell zugreifen müssen.«
     

Teil 2
Bindungen

18 - Weihnachten mit allem Drum und dran
    Über Weihnachten fuhr ich nach Kippax, auch wenn ich nicht gerade festlich gestimmt war. Es war mein erstes

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