Das Leben kleben
es, und da stand er, mein Junge, in der winterlichen Dämmerung, mit seinem zum Bersten vollen Rucksack und einer Stofftasche in jeder Hand. Mein Herz tat einen Sprung vor Freude, auch wenn es kaum eine Woche her war, dass wir uns verabschiedet hatten.
»Hallo, Mum.«
»Hallo, Ben.«
Er ließ die Taschen im Flur fallen und stand einfach nur da und grinste steif, mit schlaffen Armen, während ich ihn umarmte, ließ das peinliche Ritual über sich ergehen, ohne aktiv daran teilzunehmen. Er sah zugleich dünner und größer aus, als wäre er in der letzten Woche eine Handbreit gewachsen. Auf der Oberlippe lag der Schatten eines Schnurrbarts. Auch sein Haar war länger geworden, und er hatte sich ein rotes Tuch um den Kopf geknotet, wie ein Pirat. Das war neu.
Er hatte nur den Rucksack dabeigehabt, als er ging, was hieß, dass die Sachen in den Stofftaschen seine Geschenke sein mussten. Es war sogar ein Geschenk von den Sinclairs für mich dabei - eine riesige Schachtel belgischer Pralinen, so ähnlich wie die, die ich ihnen geschickt hatte, nur größer und teurer.
»Wie war Weihnachten?«, fragte ich.
»Ganz okay.«
An der Art, wie Ben mit der Trennung von Rip und mir umging, war etwas gespenstisch Erwachsenes, das mich mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllte. Ben spielte uns nie gegeneinander aus - er war immer leidenschaftlich loyal uns beiden gegenüber. Doch ich brannte mit boshafter, nichterwachsener Neugier darauf zu hören, was Weihnachten in Holtham passiert war. »Warum bist du früher zurückgekommen?«, fragte ich sehr beiläufig. »Ach, ich hatte einfach keine Lust mehr.«
Ich hätte ihm glauben und es dabei belassen können, doch ich erinnerte mich an seinen Anruf, seine zitternde Stimme um zwei vor zwölf. Da war mehr als nur keine Lust.
»Und Stella? Sie war doch auch da?«
»Ja. Aber nicht so lange. Ich glaube, sie ist zu ihrem Freund.«
Ich hatte ihr ein Geschenk geschickt, einen handgemachten Seidenschal in verschiedenen Rosatönen - sie würde zauberhaft damit aussehen, es war genau ihre Farbe. Ich hatte gehofft, sie würde anrufen, doch sie hatte mir nur eine SMS geschickt:
danke mama toller schal frohe Weihnachten wir sehen uns bald küsschen.
Obwohl ich ihm vor Weihnachten eine Nachricht hinterlassen hatte, rief Mark Diabello erst am Silvestermorgen zurück. Ich erinnerte mich, dass ich die Sache mit dem abgedrehten Haupthahn aufklären wollte; ich war mir sicher, dass er oder Nick Wolfe dahintersteckten.
»Mrs. Sinclair. Was kann ich für Sie tun? Haben Sie über Weihnachten Ihre Tante besucht?«
Na gut, auch ich war nicht ganz ehrlich gewesen.
»Hören Sie, Mr. Diabello, ich möchte nur wissen, was hier läuft. Sie bieten Mrs. Shapiro eine halbe Million Pfund für das Haus. Dann erhöhen Sie einfach so auf eine Million. Und dann bietet Ihr Partner ihr zwei Millionen an.«
Er zögerte nur einen Moment.
»Bei einer einzigartigen Immobilie wie dieser, Mrs. Sinclair, ist es schwierig, zu einer akkuraten Einschätzung zu kommen, weil sie mit nichts auf dem Markt vergleichbar ist. Letztlich ist der Marktwert - wie soll ich sagen - die Summe, die der Höchstbietende zahlt. Deswegen hatte ich vorgeschlagen, dass wir es mal auf den Markt stellen, um zu sehen, was für Angebote wir bekommen. Ist das einigermaßen plausibel?« Tatsächlich klang es ziemlich logisch.
»Und dann schleicht er mitten in der Nacht hin und dreht den Haupthahn ab.« »Nick hat das getan?«
»Ich bin mir sicher, dass er es war. Er war noch am Morgen da und hat Mrs. Shapiro mit Sherry eingelullt.« Eine Pause.
»Ich denke, Sie dürfen keine vorschnellen Schlüsse ziehen, Mrs. Sinclair. Oder darf ich Sie Georgina nennen?«
Durfte er? Durfte er? Vor lauter Hormonrauschen konnte ich mich gar nicht denken hören.
»Wenn Sie möchten, rede ich mit ihm. Manchmal ist er ... manchmal schießt er etwas über das Ziel hinaus. Wenn er sich in ein Grundstück verliebt, vergisst er, dass es jemand anderem gehört.« Er zögerte. Seine Stimme veränderte sich. »Wissen Sie, vielleicht überrascht Sie das, Georgina, aber das Handeln mit Immobilien hat viel mit Liebe zu tun. Man spielt das Spiel, weil man eine Leidenschaft für Häuser besitzt. Elegante viktorianische Reihenhäuser, gemütliche Cottages, großzügige Villen und schicke Apartments - jedes Objekt ist ein Leben, das gelebt werden will, ein Traum, der für irgendjemanden in Erfüllung geht. Unsere Aufgabe ist es, für jeden Traum das richtige Objekt zu
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