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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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nichtsnutzig in handwerklichen Dingen waren, aber vielleicht waren sie äußerst nützlich darin, Typen wie Mrs. Goodney und Nick Wolfe von Canaan House fernzuhalten. Und sie könnten die Katzen füttern. »Es muss natürlich absolut klar sein, dass sie sofort wieder ausziehen, sobald Mrs. Shapiro zurückkommt.«
    »Kein Broblem. Auch wenn sie nur kurz hier sind, ist große Erleichterung für meine Frau. Kann sie mal saubermachen.«
    Ich fragte mich, was Mrs. Shapiro wohl sagen würde, wenn ich ihr erzählte, dass sie Palästinenser waren.
    »Tut mir leid, sie haben kein Geld für Miete bezahlen. Aber sie bringen Haus in Ordnung. Sie reparieren alles wie neu.« Er sah meinen Blick. »Ich beaufsichtige natürlich.«
    Ich hätte wahrscheinlich von vornherein nein sagen sollen, aber Mr. Ali hatte etwas unwiderstehlich Knuddeliges an sich. Und außerdem war ich einer anderen Geschichte auf der Spur.
    »Wo haben Sie Ihre handwerklichen Fähigkeiten gelernt, Mr. Ali? In Lydda?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wir wurden aus Lydda fortgeschickt. Wissen Sie nicht, was dort passiert ist?«
    »Sie meinen den terroristischen Anschlag? Ich erinnere mich«, sagte ich, mit mir zufrieden.
    »Ha! Die ganze Welt erinnert sich.« Er wirkte aufgebracht. »Terroristen schießen auf unschuldige Israeli. Aber wissen Sie auch warum? Wissen Sie, was vorher passiert ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Erzählen Sie es mir.«
    In einer Lichtung im Gebüsch gingen Wonder Boy und Mussorgski fauchend aufeinander los. Violetta stand in der Nähe, zuckte mit dem Schwanz und feuerte mit winselnden Geräuschen einen der beiden an, doch ich konnte nicht erkennen, auf wessen Seite sie stand. Mr. Ali schlug mit der Zeitung nach ihnen, um sie zu verscheuchen.
    »1948 wurden alle Palästinenser aus Lydda vertrieben. Nicht nur aus Lydda viele Städte und Dörfer in unser Land wurden zerstört. Um Platz für Juden zu machen. Sie leben heute noch in Flüchtlingslagern.« Er verstummte.
    »Aber ... Sie sind Handwerker geworden?«, fragte ich ermutigend, weil ich die Hoffnung nicht aufgab, dass am Ende irgendetwas Positives herausgekommen war, selbst bei den Vertreibungen, bei der ganzen Geschichte, die von Erinnerungen an ungesühntes Unrecht verstopft war.
    »In Ramallah wurde ich zu Ingenieur ausgebildet.« (Er sprach es Inschinier aus.) »Hier in England musste ich neue Prüfungen machen. Aber ich bin alt, und die Zeit hat Eimer auf mich ausgeschüttet. Der Nichtsnutz«, er zeigte auf seinen Neffen, »will auch Ingenieur studieren. Aeronautik.«
    »Aeronautik?«
    Das klang ziemlich intelligenzlastig. Ich versuchte mir vorzustellen, mit einem Flugzeug zu fliegen, das Ismael gebaut hatte, und mir wurde leicht schwummrig. »Hat Stipendium.« Er hatte die Stimme zu einem stolzen Flüstern gesenkt. »Der andere, weiß ich nicht. Jetzt lernen beide Englisch. Ersteklasse-Englischkurs hier in der Nähe - Metropolitan University, gleich neben Arsenal-Stadion.«
    Als die Nichtsnutze mitbekamen, dass von ihnen die Rede war, schalteten sie sich ein: »Arsenal. Ja, bitte!«
    Ja, das war sicher ein Ersteklasse-Englischkurs, dachte ich.
    »Und warum sind
Sie
nach England gekommen, Mr. Ali? Ich meine, was ist mit Ihrer Familie dort?«
    »Sie stellen schwierige Fragen, Mrs. George.«
    Ich merkte, dass er lieber nicht darüber reden wollte, doch ich musste die Lücken in der Geschichte füllen.
    »Tut mir leid. Angewohnheit aus Yorkshire. Wo ich herkomme, weiß jeder alles über jeden.«
    Er zögerte, dann fuhr er fort. »Wissen Sie, als mein jüngster Sohn gestorben ist, sah ich kein Hoffnung mehr. Gibt kein Möglichkeit Konflikt zu beenden. Ich wollte nur weg. Ich habe guten Freund, Engländer, war Lehrer in Freundesschule in Ramallah. Er hat uns geholfen herzukommen.« »Ihr Sohn ist gestorben ...?«
    Plötzlich hatte mich meine Neugier in dunklere Bereiche geführt, als mir lieb war.
    »Blinddarmdurchbruch.« Er starrte zu Boden, als könnte er dort das Gesicht seines Sohnes sehen. »Wir waren in Rantis, Familie von Frau besuchen. Wir wollten ihn in Tel Aviv ins Krankenhaus bringen, aber wir wurden aufgehalten an Checkpoint. Meine Frau weinte und flehte Soldaten an - ein Soldat - er war ein Kind von achtzehn Jahre, aber er hatte Macht von Leben und Tod über uns. Er spielte mit diese Macht. Er sagte, wir müssen zurück nach Ramallah. Als wir da waren, war zu spät.« In seinen Augen leuchtete ein härteres Licht auf. »Wie kann ich vergeben? Mein Sohn war vierzehn

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