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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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& Diabello. Ein kurzer Erkundungsblick auf den Parkplatz hinter dem Haus verriet mir, dass Mark Diabello unterwegs und Nick Wolfe da war.
    In dem kleinen Büro war seine körperliche Präsenz überwältigend; er schien den ganzen Raum einzunehmen, und ich fühlte mich regelrecht gegen die Wand gedrückt. Er begrüßte mich mit einem schmerzhaften Händedruck und fragte mich, was er für mich tun könne. Ich erklärte ihm mit meiner freundlichsten Stimme, dass Mrs. Shapiro nach ihm gefragt hätte. Auf einen gelben Klebezettel notierte ich die Adresse von Northmere House, reichte ihm meinen Umschlag und bat ihn, ihr meine Karte mitzunehmen, falls er die Zeit fände, sie zu besuchen.
    »Okay«, sagte er.
    Dann ging ich wieder nach Hause und setzte mich an die
Klebstoffe in der modernen Welt.
In dem Artikel, den ich redigierte, ging es darum, wie wichtig das Design der Fügeteile für die Haftung war. Ganz gleich, wie gut ein Klebstoff war, schlecht geeignete Fügeteile konnten alles verderben. Statt einer stumpfen Klebeverbindung sollten die Fügeteile möglichst überlappen oder verkeilt oder geriffelt sein, oder geschlitzt oder verzapft. Oder man griff zu Hybridverbindungen - leimen und nageln, wie Nathan gewitzelt hatte. Die Oberflächen sollten stets dahingehend präpariert werden, dass die Haftoberfläche maximiert wurde.
»Die Oberflächenhaftung wird erhöht indem die Oberflächen die aneinander haften sollen aufgeraut oder angeschliffen werden.«
    Der Artikel war von einem jungen Mann verfasst worden, der Ahnung von Klebern hatte, aber offensichtlich auf Kriegsfuß mit der Zeichensetzung stand. Was lernte die Jugend heutzutage in der Schule? Ich schnalzte mit der Zunge. Ben war genauso schlimm.
    Plötzlich machte ich mir Sorgen, wie es ihm heute in der Schule ergangen war. Als wir von Leeds nach London zogen, hatte er Schwierigkeiten gehabt, sich in seiner neuen Klasse zurechtzufinden; und soweit ich sehen konnte, kam der seltsame semi-analphabetische Spikey, mit dem er an Silvester gechattet hatte, bisher einem Freund am nächsten. Ich fürchtete, dass sein rasierter Schädel und seine religiösen Tendenzen ihn zur Zielscheibe fieser Spötter machen könnten, und beim Abendessen versuchte ich mit ihm darüber zu reden.
    »Was haben sie denn in der Schule zu deinem neuen Haarschnitt gesagt - oder besser, deinem Haarabschnitt?«
    »Ach, nichts.«
    Ohne die braunen Locken sah sein Gesicht anders aus. Das braune Haar hatte er von mir, doch die gebogenen Augenbrauen mit ihrem leicht arroganten Schwung und das intensive Blau seiner Augen - jetzt sah ich mehr von Rip in ihm.
    »Haben die anderen keine Witze gerissen?«
    Er zuckte die Schultern. »Doch, schon, aber das ist mir egal. Jesus wurde auch verspottet, oder?«
    Ja, und schau dir an, was mit ihm passiert ist - ich behielt den Gedanken für mich und verlieh meiner Stimme mütterliche Fürsorge. »Aber ist das nicht etwas ... hart? Ich meine, Kids in dem Alter können echt grausam sein.«
    »Nein«, sagte er. »Das sind irdische Sachen. Ist mir egal. Bringt mich unserem Herrn näher.«
    Als er mit dem Essen fertig war, legte er Messer und Gabel hin, faltete kurz die Hände und schloss die Augen. Dann nahm er seine Tasche und verschwand in seinem Zimmer. Vielleicht hätte ich froh sein sollen, dass er keine Autos klaute oder Drogen nahm, aber diese unheimliche Intensität, die er ausstrahlte, verlieh ihm fast eine Aura von Märtyrertum. Schuldgefühle packten mich. War es unser Versagen als Eltern, das ihn dazu brachte, nach einer anderen Art von Gewissheit zu suchen? Manchmal hatte ich das Gefühl, ich sei selbst nicht erwachsen genug, um Mutter zu sein - ich schien immer gerade mal einen Schritt voraus und musste den Rest unterwegs improvisieren.
    Rip kannte keine solchen Unsicherheiten - er wusste immer, was richtig war, und setzte sich dafür ein. Das war eins der Dinge, die ich an ihm geliebt hatte - sein Verantwortungsgefühl. Ja, vielleicht war es falsch gewesen, dass ich mich nicht mehr für seine Arbeit interessiert hatte. Aber was genau machte er überhaupt? Irgendetwas mit globalen Systemen für Synergie-Entwicklung. Oder globale synergetische Entwicklungssysteme. Oder systematische Entwicklung von globalen Synergien. Ich verstand einigermaßen, was jedes Wort einzeln bedeutete, aber zusammen hatten sie in etwa die gleiche Wirkung auf mein Gehirn wie phenolische Hydroxygruppen. Vor einer Ewigkeit hatte ich mir einmal auf einem Zettel Notizen gemacht,

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