Das Leben kleben
Jahre alt.«
Er begann auf die Ecke der Zeitung eine Landkarte zu zeichnen.
»Das war vor fünf Jahre. Jetzt mit Mauer ist schlimmer. Sehen Sie. Grüne Linie. Mauerlinie.« Er zeichnete eine zweite Wellenlinie. Ich starrte die Landkarte an diese verrückte Schlangenlinie - und ein Hauch von Panik stieg in mir auf. Landkarten. Nicht meine Stärke. Aber warum schlängelte sie sich so? Warum war da überhaupt eine Linie? »Also wollten Sie weg?«
»Heute meine Tochter ist mit dem Engländer verheiratet. Ich habe drei Enkel.« Er lächelte kurz. »Machen meine Frau verrückt.«
Ich dachte, eines Tages würde ich seine Frau gern kennenlernen.
Die Nichtsnutze hatten ihre Zigaretten fertig geraucht und sich in den Lieferwagen gesetzt. Anscheinend gab es da drin einen CD-Player, denn ich hörte Fetzen arabischer Musik, süß und melancholisch, die eigenartig fremd über dem feuchten Rasen und den tropfenden Büschen schwebten.
Aber vielleicht hatten alle Orte dieser Welt eine Geschichte von Leid und Vertreibung, dachte ich. Menschen kamen, andere zogen weiter; neue Leben und neue Gemeinden sprossen aus den Steinen der alten. In der Schule hatten wir die Geschichte von Kippax durchgenommen. In den 1840er Jahren wurden Bergleute aus Schottland und Wales geholt, um die gewerkschaftlich organisierten Streiks in Durham zu brechen - verzweifelte hungrige Männer, die anderen verzweifelten hungrigen Männern das Mark aus den Knochen saugten. Als die Grube in Ledston Luck aufgemacht wurde, wurden ihre Enkel und Urenkel aus Durham nach Yorkshire geholt und in Kippax angesiedelt. Es gab Männer, die über anderer Leute Schicksal entschieden, Linien auf Landkarten zogen und Menschen herumschoben; und es gab Männer wie meinen Vater und Mr. Ali, die ihr Leben in den Fugen der großen Pläne anderer lebten und hart arbeiteten, um ihre Familien mit Nahrung und einem Heim zu versorgen.
»Was meinen Sie, Mrs. George?« Mr. Ali unterbrach mich in meinen Gedanken. »Können sie hierbleiben und Haus reparieren?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich schwach. Der arme Mr. Ali im Exil und seine charmanten nichtsnutzigen Assistenten gingen mir nahe, aber ich schuldete Mrs. Shapiro Sorgfaltspflicht, und das Szenario mit der Leiter hatte mich misstrauisch gemacht. »Wenn Sie vielleicht erst die Regenrinne reparieren, habe ich Zeit, mit Mrs. Shapiro zu sprechen.«
»Morgen«, sagte er, »wir kommen mit neue Regenrinne und große Leiter. Sie werden sehen.«
»Äh, und das Fenster. Das müsste jetzt auch noch repariert werden.«
30 - Epoxidharzhärter
Manchmal, wenn ich zu verstehen versuche, was auf der Welt vor sich geht, denke ich unwillkürlich an Klebstoffe. Jeder Klebstoff reagiert mit den Oberflächen und der Umgebung auf seine ganz spezifische Weise; manche Klebstoffe binden unter Lichteinfluss ab, andere durch Hitze, andere durch den Austausch subatomarer Teilchen, andere brauchen einfach nur Zeit. Die Kunst, eine gute Bindung herzustellen, besteht darin, für die jeweiligen Fügeteile das passende Bindemittel zu finden.
Acrylkleber zum Beispiel binden bekanntermaßen schnell ab und erfordern keine aufwändige Oberflächenvorbereitung wie etwa Epoxidharze, die eine hohe Bindekraft, aber auch eine längere Abbindezeit haben. Epoxidharzkleber bestehen aus zwei Komponenten: dem Kunstharz selbst und dem Härter, der den Prozess beschleunigt. Am Freitag saß ich an meinem Laptop und dachte über diesen tiefen philosophischen Dualismus nach, als mir ein scharfsinniger Gedanke kam. Was ich für eine erneute Verbindung mit Mrs. Shapiro brauchte, war ein Härter. Und wer konnte härter sein als Mr. Wolfe?
Mit neuer Tatkraft suchte ich in der Schreibtischschublade nach einer Karte, verfasste einen Gute-Besserungs-Gruß an Mrs. Shapiro, schrieb ihr, dass ich mein Bestes tat, sie bald zu besuchen, und riet ihr, unter keinen Umständen irgendetwas zu unterschreiben, bevor wir miteinander gesprochen hatten. Ich erwähnte, dass ich ein paar Handwerker gefunden hatte, die vielleicht im Haus übernachten würden, während sie einiges dort reparierten - ich ging dabei nicht ins Detail, das gebe ich offen zu. Außerdem schrieb ich, dass es den Katzen hervorragend ging und dass Wonder Boy sie vermisste (wahrscheinlich tat er das sogar, auf seine brutale, egoistische Art). Ich legte einen frankierten und adressierten Briefumschlag bei und ein leeres Blatt, schob beides mit der Karte in den Umschlag und klebte ihn zu.
Dann ging ich zum Büro von Wolfe
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