Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
ich ihn noch einmal am Ende dieses unvergesslichen Tages und wünschte ihm eine gute Nacht.
»Ich freue mich, dass du da bist«, sagte er mit ernster Miene.
Am nächsten Morgen standen wir zeitig auf. Barack nahm mich mit in sein Büro, um mir zu zeigen, wo er arbeitete. Er wollte mir auch seine Kollegen vorstellen.
Wir gelangten in einen ziemlich trostlos wirkenden Stadtteil, Flachbauten standen dicht an dicht nebeneinander, bungalowartige Häuser. Nicht weit davon entfernt erhoben sich Wohnblöcke mit grauen Fassaden und dunklen Eingängen. Alles sah heruntergekommen und ärmlich aus, ganz anders als in dem Teil Chicagos, den ich bei meiner Ankunft gesehen hatte. Barack erklärte mir, wir seien hier »in den Projects«.
»Das sind Wohngegenden, in denen für die untersten Einkommensschichten und für Sozialhilfeempfänger Billighäuser gebaut wurden. Hier leben die Leute, die kein oder nur ein sehr niedriges Einkommen haben und auf staatliche Hilfe angewiesen sind.«
»Sieht wirklich arm aus hier«, bemerkte ich überrascht. Ich hatte damals noch ein etwas naives Idealbild von Amerika im Kopf, das in meiner Heimat – aber nicht nur dort – weit verbreitete Klischee von Wohlstand und Reichtum in den Staaten.
»Die Leute sind auch arm. Und leider sind die meisten von ihnen Schwarze«, fuhr Barack fort. Es tat mir weh, das zu hören. In Deutschland kämpfte ich täglich gegen die vielen Vorurteile gegenüber uns Schwarzen, insbesonders gegen jenes, dass wir alle hilfsbedürftig seien. Deshalb hörte ich jetzt nicht gern, dass es den Schwarzen in den USA tatsächlich so erging.
»Und was machst du hier?«, fragte ich Barack, gespannt darauf, welche Lösung er diesen Menschen mit seiner Arbeit anbot.
»Ich versuche den Armen dieser Gegend im Umgang mit den Behörden zu helfen, damit sie auch ihre rechtmäßige Unterstützung erhalten.«
Wir hatten vor einem Gebäude geparkt, das wie ein Gemeindezentrum aussah. Barack erklärte mir, dass er für einen Pfarrer arbeite und dass sein Büro und die Büros seiner Kollegen in diesem Gemeindehaus lägen. Wir betraten es durch einen Seiteneingang, und kurz darauf standen wir in einem großen, sehr einfach ausgestatteten Raum, in dem es von Leuten wimmelte. Barack ging von einem zum anderen und stellte mich seinen Kollgen vor. Alle begrüßten mich sehr freundlich. Danach führte er mich in ein Zimmer. Ich sollte seinen Chef begrüßen, einen älteren weißen Mann mit sympathischer Ausstrahlung. Zum Schluss zeigte er mir seinen eigenen kleinen Arbeitsplatz.
Mir gefiel die Atmosphäre, die im Gemeindehaus herrschte. Alle machten den Eindruck, als seien sie von dem, was sie taten, überzeugt; ihr Engagement war deutlich zu spüren. Nachdem wir uns noch eine Weile dort aufgehalten hatten, da Barack einige Dinge erledigen musste, zeigte er mir die Sozialbauten und schilderte mir seine Arbeit ausführlich. Zwischendurch redeten wir immer wieder über unsere Familien. Er erzählte mir von seiner kleinen Schwester Maya, dem zweiten Kind seiner Mutter Ann. Mayas Vater war Indonesier, und sie selbst hatte ihr Zuhause bei ihrer Großmutter mütterlichseits auf Hawaii.
»Du wirst sie mögen«, sagte er. »Sie ist entzückend.« Es klang, als würde er sie sehr lieben. Ob er wohl eines Tages auch so von mir reden würde?, dachte ich flüchtig.
»Meine Mutter lebt in Indonesien. Sie recherchiert dort emsig für ihre Doktorarbeit«, fuhr Barack fort und lachte. »Und ich glaube, dass sie noch lange dort bleiben wird. Sie liebt das Land und kann einfach nicht aufhören, ihren Forschungen nachzugehen. Die Anthropologie ist ihr Leben.« Dabei schüttelte er belustigt den Kopf, so als habe er den Versuch, sie zu verstehen, schon lange aufgegeben.
»Ich würde sie gern kennenlernen. Von meinem Vater habe ich sehr viel über sie gehört.«
»Hat er von ihr gesprochen? Was hat er gesagt?«, fragte Barack neugierig.
»Nur Gutes. Nachdem Ruth fortgegangen war, versprach er uns immer wieder, dass du und deine Mutter zu uns nach Kenia kommen würden.« Ich lächelte etwas müde. »Ich habe es ihm geglaubt und lange vergeblich auf euren Besuch gewartet.«
Barack sah mich erstaunt an. »Davon wusste ich gar nichts«, entgegnete er nach kurzem Schweigen.
»Sie haben sich geschrieben. Das weißt du aber, oder? Deine Mutter hat ihm immer deine Schulzeugnisse geschickt und regelmäßig berichtet, wie es dir geht. Er wusste stets, wie es um dich stand. Uns und allen, die es hören
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