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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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fragte ich ihn.
    »Ich wusste es einfach.«
    Ich fragte nicht weiter. Ich verstand, was er meinte; denn im Grunde war es mir genauso ergangen. Als er meinen Namen gerufen hatte, hatte ich schon im Klang seiner Stimme etwas Vertrautes erkannt.
    Auf dem Weg zu seinem Wagen musste ich meinen Bruder immer wieder von der Seite anschauen. Er war viel größer als ich, hatte sehr kurzes Haar und trug klassisch-sportliche Kleidung: Polohemd und Leinenhose. Wieder wurde ich an meinen Vater erinnert, der einen ähnlichen Stil bevorzugt hatte. Und wie mein Vater war Barack sehr schlank, fast mager. Als er wenig später meine Reisetasche in den Kofferraum seines kleinen Fiats hievte, fiel mir auf, wie lang und schmal seine Hände waren. Genau die Hände unseres Vaters, dachte ich. Auch ich habe solche Hände. Mir sagt man oft, ich hätte die Hände einer Klavierspielerin. Deshalb ging mir, als ich es mir in dem kleinen Auto auf dem Beifahrersitz bequem machte, die Frage durch den Kopf, ob die Leute auch Baracks Hände mit denen eines Klavierspielers verglichen.
    In dem Fiat saß ich anfangs stumm neben meinem jüngeren Bruder und beobachtete, wie er langsam durch den dichten Abendverkehr Richtung Süden fuhr. Ich schaute neugierig aus dem Fenster, beeindruckt von den Wolkenkratzern, ihrer interessanten Architektur, den aufwendig gestalteten Konstruktionen. Es wimmelte von Autos, und Scharen von Menschen, Schwarze und Weiße, liefen die Bürgersteige entlang. Diese Stadt hatte mit dem kleinen, überschaubaren Heidelberg, aber auch mit Carbondale nichts gemein. Ich war beeindruckt.
    Dann brachen wir das kurze Schweigen. Und seit diesem Augenblick galt meine Aufmerksamkeit nur noch meinen Bruder – und seinem Fiat.
    »In deinem Auto bekommt man ja richtig Angst«, scherzte ich.
    »Hast du wirklich Angst?«, fragte Barack besorgt und drosselte die Geschwindigkeit ein wenig.
    »Nein, nein«, versicherte ich ihm. »Es ist nur komisch, neben all diesen Straßenkreuzern in so einem kleinen Wagen zu sitzen.«
    »Stimmt. Aber so spare ich Benzin und kann fast überall parken. Ich arbeite nämlich in den Projects und verdiene nicht viel Geld.«
    »In den Projects?«
    »Ja, du wirst es bald sehen. Es geht dabei um housing projects , um Sozialbauten. Aber erzähl mir doch zuerst von deinem Leben in Deutschland.«
    Ich musste lächeln. Barack glich einem Verhungernden, der plötzlich etwas zu essen bekommt. Eine Frage jagte die andere. Wir redeten und redeten, als liefe uns schon jetzt die Zeit davon. Ich fing an zu berichten und wusste, dass ich noch lange nach unserer Ankunft in Baracks Wohnung nicht damit fertig sein würde. Mein Bruder wollte alles über mich und unsere Familie wissen. Im Grunde hörten wir mit dem Reden bis zu meiner Abreise nicht mehr auf.
     
    »Weißt du eigentlich, dass ich richtig gut kochen kann?«, fragte Barack verschmitzt.
    »Natürlich«, konterte ich. »Ich kenne dich ja auch schon mein ganzes Leben!«
    »Nein, im Ernst. Ich kann sehr gut indonesisches Essen zubereiten. Lass dich überraschen.«
    Barack stand in seiner kleinen Küche am Herd, und ich saß im Wohnzimmer auf der Couch, von wo aus ich ihn durch die Tür beobachten konnte. Seine Wohnung umfasste neben diesen beiden Räumen noch ein kleines Schlafzimmer.
    »Sag etwas über meinem Vater«, bat Barack, als wir beim Essen an seinem Küchentisch saßen. Als er noch am Herd stand, hatte ich ihm von unseren gemeinsamen Geschwistern erzählt, darum bemüht, jeden der Brüder lebendig zu schildern und die jeweiligen Eigenheiten hervorzuheben. Auf diese Weise bekam Barack durch meine Augen ein erstes Bild von seiner kenianischen Verwandtschaft, die er, weil seine Eltern sich schon in seiner frühen Kindheit getrennt hatten, nie kennengelernt hatte.
    »Weißt du, dass unser Vater uns alle sehr geliebt hat?«, sagte ich, während ich gedankenverloren auf mein Essen blickte.
    »Nein, das weiß ich nicht, Auma. Ich kannte ihn ja eigentlich nicht. Ich habe ihn nur einmal bewusst erlebt, als Zehnjähriger. Das war zu kurz, um etwas über ihn zu erfahren.« Baracks Stimme blieb ruhig, aber seine Worte sprachen Bände. Ob mein Vater damals wusste, wie sehr er seinem Sohn fehlte?
    »Er hat uns alle sehr geliebt«, wiederholte ich. »Er war nur nicht fähig, es uns zu zeigen. Und obwohl mir das immer klar war, verspürte ich viele Jahre nur Zorn ihm gegenüber. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wütend ich war.«
    »Warum? Du hast doch bei ihm gelebt?«,

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