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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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gewesen, sich einer fremden, westlichen Lebensweise anzupassen, die in vielen Bereichen seinem herkömmlichen Dasein entgegengesetzt war. Das verstärkte sich noch, als er Ruth heiratete, die in jeder Beziehung diese westliche Welt repräsentierte. Und obwohl er ihrem Lebensstil ausgesetzt war und ihn lange Zeit ja selbst praktizierte, war unser Vater zugleich durch und durch ein Luo. Er achtete die Tradition und hing an ihr. Ruth dagegen hat es nicht geschafft, sich anzupassen, hat womöglich gar nicht erst versucht, seine afrikanischen Wurzeln zu begreifen. Sie hatte den Mann geheiratet, den sie in ihrem Land, in Amerika, kennengelernt hatte, der ein echter Gentleman war, die Ausstrahlung eines Romeos besaß und sich so wunderbar assimiliert hatte, was ihre Kultur betraf.
    Ich kann mir vorstellen, dass in Ruths Idealbild von einer glücklichen Ehe keine zwei kleinen schwarzen Kinder einer anderen Frau passten, keine Großfamilie, die ständig finanzielle Hilfe benötigte, und auch nicht all die afrikanischen Freunde, die ihr den Mann viele Abende wegnahmen, um auf einen Drink auszugehen und manchmal bis in den frühen Morgen fortzubleiben. In seinem eigenen Haus stießen diese beiden Welten mit aller Heftigkeit aufeinander, und der alte Herr wusste nicht, wie eine Versöhnung dieser Unterschiede zu realisieren war. Es zerriss ihn fast. Da war seine alte afrikanische Identität, seine neue als Ehemann einer Amerikanerin, da waren die Verpflichtungen, die ihm seine Kultur diktierten.«
    Barack sah mich fragend an.
    »Warum es zwischen unserem Vater und Ruth nicht funktioniert hat«, fuhr ich fort, »dazu hat mir einmal einer seiner damaligen Freunde etwas Interessantes gesagt: ›Um Ruth glücklich zu machen, hätte dein Vater seiner Familie sowie allen Freunden den Rücken kehren müssen.‹ Ja, und ich erinnere mich, dass Abongo und ich damals in den Ferien immer aufs Land geschickt wurden, zu unserer Großmutter Sarah. Wahrscheinlich deshalb, damit Ruth, wenn auch nur vorübergehend, mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Söhnen den Anschein einer Kleinfamilie erleben konnte.«
    Ich redete und redete immer weiter, völlig in vergangene Zeiten versetzt.
    »Ich werde nie den Tag vergessen, als ich, nachdem Ruth schon fort war, irgendwo in einem Schrank einen nicht zu Ende geschriebenen Brief an ihre Schwester in den USA fand. Darin hatte sie ihrer Schwester geklagt, dass sie mit uns, den schwarzen Kindern ihres Mannes, einfach nicht zurechtkäme. Sie schilderte ihr zum Beispiel, wie schwer es ihr falle, uns zu baden, weil es ihr so widerstrebe, uns anzufassen. Stell dir vor, wie schlimm es für mich war, das zu lesen.
    Unser Vater muss gewusst haben, was los war und was Ruth über seine Familie und seine Freunde dachte. Wie hätte er das akzeptieren können, ohne sich selbst zu verleugnen? Seine Enttäuschung und Verbitterung muss sehr groß gewesen sein, bestimmt genauso groß wie die, die Ruth empfand.
    Dazu kamen seine Schwierigkeiten bei der Arbeit. Als junger Mann war er nach Amerika gegangen, um ein Studium zu absolvieren, das ihm ermöglichen würde, die Entwicklung seines Landes mit zu steuern. Nach dem Abschluss war er Feuer und Flamme und widmete sich voller Optimismus seinen neuen Aufgaben. Und dann musste er schon nach kurzer Zeit die Erfahrung machen, dass in Kenia eine Diktatur die andere abgelöst hatte. Und die setzte das Werk der Kolonialherren fort: Mittels Vetternwirtschaft und Bevorzugung spalteten die Machthaber die verschiedenen ethnischen Gruppen und spielten sie gegeneinander aus. Unser Vater schuf sich mit seiner Arbeitsmentalität und seinem Idealismus in dem Ministerium, in dem er tätig war, einige Feinde. Dazu zählten Kollegen und auch Vorgesetzte, die ihm misstrauten. Sie konnten nicht verstehen, warum er sich nicht wie sie selbst zu bereichern versuchte – nach dem Motto: ›Jetzt sind wir dran‹. Ich glaube, er war im Grunde ein sehr einsamer Mann.«
    Kurz holte ich Luft, nach meinen langen Ausführungen, doch nur, um sogleich mit meinen Überlegungen fortzufahren:
    »Ich könnte mir vorstellen, dass unser Vater im persönlichen Bereich lange versucht hat, aus seiner misslichen Lage das Beste zu machen – und auch, dass er und Ruth schon sehr früh gemerkt haben, dass ihre Beziehung nicht funktionierte. Aber statt sie zu beenden, blieben sie so lange zusammen, bis absolut nichts mehr zu retten war. Als dann nach diesen harten Zeiten auch noch der schwere Autounfall hinzukam

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