Das Leben nach dem Happy End
gesehnt, doch ich wollte ihn auf keinen Fall sehen und fühlte nicht länger etwas, weder Trauer noch Sehnsucht. Sollte ich die lange Reise auf mich nehmen, um die Hand eines Mannes zu halten, der mich jahrelang abgewiesen hatte? Natürlich sollte ich. Aber ich wollte nicht.
Ich ging in Hallands Büro hinauf, stand einfach nur da und setzte mich auf seinen Stuhl, schloss die Augen, schnupperte, kein besonderer Geruch, vielleicht ein wenig Staub, ein warmer Duft vom Holz des Schreibtischs. Unter der Tischplatte standen rechts und links Rollladenschränke, die Schlüssel steckten im Schloss. Ich drehte den linken Schlüssel um, der Rollladen fiel mit einem Schlag nach unten. Die Schubladen waren fast leer. Es lagen einige Briefe darin, Broschüren, lose Fotografien, vom Garten, der Aussicht, von mir, eins von seiner Mutter. Das mit dem Zicklein war nicht dabei.
Die Schubladen im rechten Schrank waren voller Papiere seiner Firma, Mehrwertsteuer, Steuer, alte Fahrtenbücher. Meine Finger hatten noch nie in diesen Schubladen gewühlt, aber ich fühlte mich nicht wie auf fremdem Terrain, es wirkte eher beruhigend, Hallands Ordnung zu betrachten. Doch ich entdeckte dort ebenfalls zwei Schlüssel, diesmal an einem Stück Paketschnur, ein Rukoschlüssel und ein normaler. Er hatte einen kleinen Zettel mit der Aufschrift »Kopie« daran befestigt. Ich erkannte sie sofort, sie glichen den Schlüsseln aus Hallands Tasche, die Funder mir gezeigt hatte. Ich wog sie in der Hand, legte sie an ihren Platz zurück und zog den Rollladen wieder hoch. Stand auf, setzte mich wieder, drehte den Schlüssel noch einmal um, zog die Schublade heraus und holte die Schlüssel erneut hervor. Dann steckte ich sie in die Tasche, ließ den Schrank offen stehen und ging die Treppe hinab. Machte kehrt und ging wieder hinauf, zog eine Schublade nach der anderen auf, sah hinein, starrte, wusste aber nicht, wonach ich suchen sollte. Ein Stück Papier, auf dem geschrieben stand: Dafür werden die Schlüssel verwendet. Dieses Papier fand ich nicht.
»Hör doch auf!«, sagte ich. »Hör doch auf!«
Ich legte meinen Oberkörper auf den Tisch, blieb lange so sitzen, mit dem Kopf auf den Armen und in der Nase den Holzgeruch.
Funder hatte eine Karte mit einer Nummer hinterlassen, unter der ich anrufen konnte. Fast wartete ich darauf, dass die Polizei sich erneut zeigen würde. Müssten sie denn nicht Hallands Sachen unter die Lupe nehmen, sein Leben, mich, irgendetwas? Eine Person mit einem Jagdgewehr lief irgendwo frei herum und musste gefasst werden. Aber die würden sie hier natürlich nicht finden. Ich hatte einen Schlüsselbund gefunden. Aber den besaß die Polizei ja bereits. Ich rief nicht an.
Ich musste etwas unternehmen. Spazieren gehen, einkaufen, was auch immer. Also ging ich hinaus. Rechts von mir rannte jemand in sein Haus, als ich meins verließ. Es klang fast so, als hätte er die Tür mit voller Wucht zugestoßen. Flüchtete er vor mir?
Die Sonne schien, doch es war eher kühl, und auf der Hauptstraße sah ich Hallands verschwommenes Gesicht unter der Schlagzeile: WER ERSCHOSS IHN? Wo hatten sie dieses Bild her? Aufgebracht, als hätte mich, wie so oft, ein alltäglicher Zorn gepackt, war ich drauf und dran, den Kiosk zu betreten und zu fragen, was das sollte. Hatte Halland nicht jahrelang hier eingekauft, waren sie denn völlig pietätlos? Würden sie das Wort pietätlos überhaupt verstehen? Ich machte hastig auf dem Absatz kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung, entdeckte einen der Schleichwege zum Fluss, und mein Atem ging ruhiger. Es war noch zu früh, um aus dem Haus zu gehen. Was hatte ich mir dabei gedacht? Nichts. Zwei Spuren verliefen in meinem Kopf, eine, die nichts dachte, sondern einfach nur existierte, und eine, die unaufhörlich Erklärungen und Unheimliches widerkäute, doch es gelang mir, sie hinzuhalten, sie durfte nicht die Oberhand gewinnen. Ich umschloss die fremden Schlüssel in meiner Hosentasche und lief kreuz und quer durch die kleinen Gassen. Ich hörte ein Auto hinter mir, so, JETZT erwischt es mich, wie wird es sich wohl anfühlen, werde ich schreien oder einfach nur umfallen? Doch nichts geschah.
8
»Einander auf die richtige Weise etwas zu bedeuten,
ist eine große Kunst.«
Hirten , Peter Seeberg
Im selben Moment, als ich die Haustür aufschloss, betrat Inger nebenan den Treppenabsatz.
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, sagte sie.
»Nein«, sagte ich und öffnete die Tür.
»Ist er
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