Das Leben nach dem Happy End
der Polizeiwache. Einmal war ich dort gewesen, um meinen Pass verlängern zu lassen, das war alles. Ich wusste nicht, ob er Sekretär oder Polizeibeamter war, hatte noch nie einen Gedanken daran verschwendet und tat es auch jetzt nicht. Ich lachte nicht, weil dies offensichtlich kein Scherz war, er hingegen war völlig außer sich, er wirkte verschreckt. Dann begann er von vorn: »Sind Sie nicht Halland Roes Frau?«
»Doch!«, antwortete ich.
»Sie sind hiermit festgenommen. Verhaftet wegen des Mordes an Halland …« Er krümmte sich zusammen, er war wirklich schrecklich atemlos.
Ich ging an ihm vorbei barfuß auf das kalte Kopfsteinpflaster, auf den Platz hinaus, und sah mich um. Ganz hinten, am anderen Ende des Platzes, entdeckte ich einen Volksauflauf. Jetzt hörte ich in der Ferne die Polizeisirenen.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Inger trat auf den Treppenabsatz des Nachbarhauses. »Was ist passiert, Bjørn?«, fragte sie den Mann. »Halland Roe ist erschossen worden!«, raunte er und deutete in Richtung des Platzes. Dann auf mich. »Sie war es, die –«
Ich rannte. »Haltet sie auf!«, rief der Idiot und rannte mir nach. Aber ich lief ja gerade dorthin, um zu sehen, was passiert war, ich flüchtete nicht. Das Absurde war nicht, dass er behauptete, ich hätte jemanden erschossen, sondern dass Halland erschossen worden sein sollte. Das glaubte ich auf keinen Fall, nicht, bis ich ihn sah.
»Wenn du gehst«, hatte mein Mann damals vor zehn Jahren gesagt, »siehst du Abby nie wieder.«
»Das ist nicht deine Entscheidung!«, hatte ich schrill gesagt. Ich hatte gehört, dass meine Stimme schrill klang, und mich gewundert. Abby war vierzehn Jahre alt, sie konnte wohl ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie konnte es, und sie tat es auch. Entweder kannte er sie besser als ich, was wahrscheinlich war, oder er hatte sie beeinflusst, und auch das war wahrscheinlich. Seitdem habe ich sie nur sehr selten gesehen, und das letzte Mal ist lange her. Sie war stur. Ich besaß ein kleines Album mit Bildern von ihr, das ich zerschlissen hatte. Doch ich wusste nur zu gut, dass man es sich schenken konnte, derart sentimental zu sein. Sie verachtete mich, und ich mich auch, wenn ich darüber nachdachte, weshalb ich es nur selten tat. Beispielsweise hörte ich fast vollständig auf zu trinken, nachdem ich die beiden verlassen hatte, zumindest hörte ich auf, mich zu betrinken. Seit ich mehrmals im Vollrausch über Abby gegreint und dabei schemenhaft Hallands Missbilligung darüber wahrgenommen hatte, dass ich nicht mehr ausschließlich an ihn, sondern immer an meine Tochter dachte, beschloss ich, es bei einem einzigen Bier, einem einzigen Glas Wein zu belassen. Dagegen hatte er nichts einzuwenden, wenn ich nur hinreichend von ihm eingenommen war, und das war ich dann auch. Das war nichts, was er laut äußern musste, ich empfing all das über kleine Signale. Wäre ich nicht von ihm eingenommen gewesen, wäre außerdem alles umsonst gewesen. Noch mehr umsonst.
Ich war erstarrt. Ich stand in einiger Entfernung und blickte auf Hallands schweren Körper, sein Gesicht auf dem Kopfsteinpflaster, das eine halbgeöffnete Auge, seinen großen Mund mit den schmalen Lippen, das zurückgekämmte weiße Haar, die schwarze Krawatte, das weiße Hemd mit dem Blutfleck. Stattlich.
Abby, dachte ich.
Die Pflastersteine glänzten, sie waren nass, und die Morgensonne schien. Sonst lag der Platz stets verlassen da, jetzt wimmelte es von Menschen, einige Rosen blühten bereits entlang der gelben und weiß gekalkten Mauern.
»Es ist ihr Mann«, sagte einer, und sie rückten beiseite, um mich vorzulassen, doch ich hatte genug gesehen. Ich spürte, wie sie mich anstarrten. Irgendetwas in meinem Hinterkopf schlug mir vor, mich über seinen Körper zu werfen und laut zu schluchzen, aber das Ganze schien mir sehr unklar und unwirklich und würde auch durch meine theatralischen Gesten nicht deutlicher werden. Stattdessen lief ich rückwärts, drehte mich schließlich um und ging auf eiskalten Füßen zurück zum Haus. Die Tür stand noch offen, und ich begann im selben Moment zu zittern, als ich den Türgriff erreichte. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugeschoben, sank ich im Flur zu Boden, krümmte mich und schluchzte laut. Doch was ich dachte, war nicht: Halland, ach Halland – sondern erneut, wie kurz zuvor auf dem Platz: Abby! Ich möchte Abby anrufen!
2
»Papa wurde unruhig. Er kniff die Augen halb zu. Kurzsichtig?
Nein, so machte es
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