Das Leben nach dem Happy End
bekamen wir keine. Im Gegensatz zu Abbys Vater. Noch bevor das erste Jahr um war, hatte er Zwillinge. Dieser Weg zurück war nun also versperrt. Ich weiß noch, dass ich mich dabei ertappte, in diesem Klischee zu denken: Jetzt gibt es keinen Weg zurück. Und Abby wollte mich nicht sehen. Doch Halland und ich waren glücklich. Dann wurde er krank.
Das brachte mich zu der Einsicht, dass wir uns im Laufe dieses einen Jahres nicht besser kennengelernt hatten, was es besonders schwer machte, mit seiner Veränderung und Schwäche umzugehen. Obwohl wir Tisch und Bett geteilt und sehr nah beieinander gelebt hatten, war ich so verlegen und gehemmt, als hätten wir uns gerade erst kennengelernt, und daran änderte sich nichts. Alles, was ich an persönlichen Gegenständen besaß, Monatsbinden, Make-up, Creme, sogar Vitamintabletten, versteckte ich aus reiner Schamhaftigkeit schon von Beginn an in Kartons, Kisten und Schubladen in meinem Arbeitszimmer. Ich erzählte ihm nicht sonderlich viel über mich, nicht, wenn ich rechtzeitig darüber nachdachte, bevor ich den Mund aufmachte. In meinem Kopf klang alles verkehrt und so fand es nie einen Weg nach draußen. Nein! Gleichgültig!, entschied ich und schwieg. Verzückt dachte ich, dass wir einander ja ohne Worte verstanden. Was Halland an persönlichen Gegenständen besaß, betrachtete ich nicht näher, es waren so wenige, sie erregten kaum Aufsehen. Eine Krankheit wie seine nahm allerdings Raum ein. Ich konnte nicht wegsehen und tat es dennoch, so gut es ging, sprach so wenig wie möglich darüber. Half ihm sozusagen unmerklich. War jedenfalls der Meinung, dass ich es tat. Überwand mich ein einziges Mal und fragte: Tut es weh? Er antwortete nicht, wandte sich ab. Ich glaube, er tat es, weil es weh tat, aber ich weiß es nicht. Armer Halland. Ich glaube schon, dass er mich gern kennengelernt hätte. Warum ließ ich es nicht zu?
Ich ging hinein und sah mich im Wohnzimmer um. War es mir schon immer so fremd erschienen? Der Klavierdeckel stand offen, die Kerzenständer waren bestückt, das war Hallands Werk gewesen. Er schenkte mir das Klavier, als wir einzogen, weil er wusste, dass ich gespielt hatte, bevor ich von zu Hause ausgezogen war. Doch ich hatte nur an dem Tag, an dem der Klavierstimmer da gewesen war, darauf gespielt, ich hatte noch immer Golliwog’s Cakewalk in den Fingern, jedenfalls die Hälfte davon, dann hörte ich auf und berührte die Tasten nur, wenn ich abstaubte, und das geschah nicht oft. Wir sprachen nicht darüber. Jetzt begann ich, nach den Notenheften meiner Kindheit zu suchen, ich wusste, dass ich sie irgendwo aufbewahrte, aber es nahm Zeit in Anspruch, sie hervorzukramen, ich stellte die Kiste auf den Sofatisch, blätterte in den Noten, schlug sie auf und versuchte zu spielen. Es ging nur langsam, aber ich hatte ja nichts anderes vor. Als ich wieder aufstand, stellte ich voller Zufriedenheit fest, dass weit mehr als eine Stunde vergangen war.
Zur Straße hin hatte ich ein Fenster geöffnet. Ein Mann stand auf dem Platz, als habe er zugehört. Normalerweise hätte mich das gestört, jetzt aber nicht. Erst als ich den Mann vom Badesteg wiedererkannte, war ich verärgert, denn was hatte er schon wieder hier zu suchen? Demonstrativ schloss ich das Fenster, er nickte in meine Richtung und ging weiter.
9
»The monkey looked the buzzard
right dead in the eye
and said, Your story’s so touching,
but it sounds jes’ like a lie.«
Straighten up and fly right , Irving Mills
Ich wartete bis zur Dämmerung, ehe ich nachsah, ob sie etwas zu essen auf den Treppenabsatz gestellt hatte. Schon als sie es angekündigt hatte, plante ich, es wegzuschütten. Doch als ich den Topf in die Küche trug, krampfte sich mein Magen so sehr zusammen, dass ich mich krümmen musste, und mir fiel auf, dass ich nicht sagen konnte, ob ich seit Hallands Tod überhaupt etwas gegessen hatte. Ich hob den tropfenden Deckel, und der Geruch des kalten, verkochten Essens stieg im selben Moment in meine Nase, in dem ich eine Gabel aus der Schublade nahm und begann, direkt aus dem Topf zu essen, am Küchentisch stehend. Mein Magen rebellierte, doch ich aß. Zwei Minuten lang aß ich, dann ließ ich die Gabel im Topf stecken, trank eine Menge Wasser aus dem Hahn, eilte zum Sofa und warf mich auf den Bauch, zog die Decke von der Lehne und über mich, schloss die Augen, kickte die Schuhe weg, ach, jetzt war ich müde, müde und satt, von Ruhe erfüllt, ruhig, jetzt konnte ich schlafen. Der
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