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Das Leben nach dem Happy End

Das Leben nach dem Happy End

Titel: Das Leben nach dem Happy End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pia Juul
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wirklich tot?«
    »So steht es in der Zeitung«, antwortete ich.
    »Wurde er wirklich erschossen?«
    »Hast du den Schuss denn nicht gehört?«, fragte ich, kaum an der Antwort interessiert.
    »Doch, habe ich, er hat mich geweckt. Erst dachte ich, es wäre Lasse, der spät nach Hause käme. Aber wer hat geschossen? Wissen sie, wer geschossen hat?«
    Ich antwortete nicht.
    »Wie geht es dir?«
    Ich antwortete nicht.
    »Diese Redensart, dass es immer die anderen trifft«, sagte sie. »Da ist was dran, aber mir ist aufgefallen, dass ich nicht einmal der Meinung war, es könnte die anderen treffen, und ich habe auch gar kein Interesse daran, dass es die anderen trifft. Das macht mir Angst. Hast du denn keine Angst?«
    Sie wusste nur zu gut, was sie sagen sollte, nicht eine Sekunde lang stand ihr Mund still. Ich verlagerte mein Gewicht auf ein Bein und knickte in der Hüfte ein. So hatte ich gestanden, wenn ich mich langweilte, als ich ein Teenager war. Seitdem hatte ich wahrscheinlich nie wieder so gestanden.
    Ich mochte Inger, das wusste ich, aber ich konnte mich nicht auf sie konzentrieren.
    »Ich bin dieselbe wie immer. Innerlich. Morgens betrachte ich mein Gesicht im Spiegel und denke: Nein, ab jetzt muss ich einfach früher schlafen gehen. Aber ich war früh im Bett, am vorigen Tag und auch am Tag davor. Ich sehe einfach so aus, wie ich aussehe! Das verblüfft mich jeden Morgen. Innerlich fühle ich mich jung. Oder jedenfalls wie dieselbe, nicht wie eine, die sich so stark verändert hat.«
    Ich sah sie an. Ich fand nicht, dass sie alt aussah. Aber ich fühlte mich innerlich gar nicht wie dieselbe. Ich verstand überhaupt nicht, was sie meinte. Vielleicht erwartete sie, dass ich mich dazu äußerte. Aber ich konnte nicht.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Einkaufen«, sagte ich und betrachtete meine Hände.
    »Hast du Hunger?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Ich stelle später einen Topf mit Abendessen vor deine Tür, dann kannst du sehen, ob du nicht doch Hunger hast«, sagte sie.
    Dann ging ich ins Haus. Die Post war dagewesen, ich hob die Zeitung und einen Brief auf, erkannte die Handschrift meiner Mutter auf dem Umschlag und riss ihn auf. Das Telefon klingelte, und als ich ins Schlafzimmer rannte, stieß ich im Eifer des Gefechts gegen das Bett, nahm den Hörer ab, rieb mein schmerzendes Knie und wartete darauf, Abbys Stimme zu hören. Es war ein Journalist. Ich zog den Stecker, ohne etwas gesagt zu haben. Der Brief in meiner Hand war zerknittert, er lautete: Liebe Bess! Sie möchte nicht. Ich habe ihr erzählt, dass Du angerufen hast und dass Halland tot ist, aber sie möchte nicht. Woran ist er eigentlich gestorben? Viele Grüße . Warum rief sie nicht an, um mir das zu sagen? Sollten diese Sätze etwa einen Kondolenzbrief darstellen?
    Es hatte überhaupt nichts auszusetzen gegeben an dem Leben, das ich gemeinsam mit Abby und ihrem Vater lebte. Der Alltag verlief reibungslos, es gab sowohl Glück, Sex und Frohsinn als auch Langeweile, Routine, Wut, Streitigkeiten, und alles zusammen schien richtig. Mein Mann hatte sich eine Weile vom Gymnasium beurlauben lassen, um einige Kurse zu besuchen, in diesem Jahr war er häufig fort, und da traf ich Halland. Mir schien, als hätte dieses fünfminütige Treffen in einer Buchhandlung vermieden werden können, und dann wäre alles anders gekommen. Aber so ist es wohl mit allen Dingen, man kann immer beschließen, sie als unvermeidbar anzusehen oder als etwas, das man ändern oder von dem man Abstand nehmen kann.
    Mein Mann veränderte sich noch im selben Moment, in dem ich ihm sagte, dass ich ausziehen wollte. Er offenbarte eine Wut und Unversöhnlichkeit, von der ich nie etwas geahnt hatte. Jetzt merkte ich, dass ich mich daran geklammert hatte, dass mein damaliger Entschluss irgendeinen Sinn hatte. Zum Beispiel glaubte ich lange, ohne ein gewöhnliches Familienleben viel besser schreiben zu können. Womit ich nicht recht behalten hatte. Doch es war mir nicht im Entferntesten eingefallen, dass ich mich an etwas geklammert hatte, nicht, bis Halland tot auf dem Platz lag. Jetzt rumorte der Gedanke so sehr in meinem Kopf, dass ich keine Ruhe fand. Ohne es abgesprochen oder diskutiert zu haben, versuchten Halland und ich im ersten Jahr, meinem Entschluss einen Sinn zu verleihen, wir gaben uns Mühe, wir reisten und feierten, badeten im Sommer jeden Morgen im Fjord, empfingen Gäste, pflanzten Rosen, ich strich die kleine Gartenlaube weiß und wir befestigten den Wetterhahn. Kinder

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