Das Leben nach dem Happy End
Speichel sammelte sich in meinem Mund, ich wusste, was das bedeutete, ein Stechen hinter meinen Augen, auch das kannte ich, ich schluckte den Speichel, doch es bildete sich neuer, schneller, es hämmerte in meinem Kopf. Ich warf die Decke zur Seite, rannte in den Flur und erreichte die Kloschüssel kurz bevor Ingers Essen in einem Schwall aus mir herausschoss. Ich sank auf dem Badezimmerfußboden zusammen und sagte »Ach!«. Mir war, als helfe diese Äußerung. Der Boden war lauwarm, ich rollte mich zusammen und lag eine Weile lang dort, nur eine Weile – bis es an der Tür läutete. Draußen war es dunkel, ich war gerädert, der Boden hart, und ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte.
Die Straßenlaterne erhellte die Gestalt dort draußen, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Es gelang mir noch schnell, ein Kribbeln im Körper wahrzunehmen, das jedoch verschwand, als ich die Tür öffnete. Davor stand eine junge Frau, aber es war nicht Abby. Sie trug eine große Tasche über der Schulter, stand ein wenig breitbeinig da und schob ihren schwangeren Bauch vor, sah mich mit Rehaugen an und wirkte kein bisschen entschuldigend, als sie sagte: »Entschuldigung, dass ich so spät noch klingle. Es ist nicht so leicht, ohne Auto so weit von Kopenhagen wegzukommen, das brauchte seine Zeit.«
»Wer bist du?«, fragte ich.
»Ich heiße Pernille«, sagte sie.
»Pernille«, sagte ich. »Kenne ich dich?«
»Ich habe in der Zeitung von Halland gelesen. Ich bin Hallands Nichte, wusstest du das nicht?«
Ich trat beiseite und ließ sie herein. In gewisser Weise war ich schlaftrunken, und es war spät, aber dass Halland eine Nichte haben sollte, war mir neu. Sie ließ die Tasche auf den Holzboden im Flur plumpsen und sah sich um.
»Oho!«, sagte sie begeistert. »Das ist also Onkel Hallands kleines Liebesnest?« Sie stand mitten im Wohnzimmer, mit zitternden Nasenflügeln, in der Tat ein Reh.
»Hier hat er gewohnt«, sagte ich. »Viele Jahre lang. Entschuldige bitte, aber ich glaube, dass ich noch nie etwas von dir gehört habe. Bist du Hannes Tochter? Ich dachte, sie hätte keine Kinder.«
»Nein«, sagte sie.
»Kann ich dir etwas anbieten?«, sagte ich und bat sie, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
»Ein Glas Wasser genügt«, sagte sie, und ich ging in die Küche. Während der Wasserhahn lief, dämmerte es mir.
»Du bist Hannes Pflegetochter«, sagte ich.
Sie nickte und trank.
»Meine eigenen Eltern sind tot, und als Hanne starb, hatte ich nur noch Halland.«
»Nur noch Halland.« Ich setzte mich, mir war schwindelig. »Sag mal … hattest du etwa damit gerechnet, hier schlafen zu können?« Sie antwortete nicht. »Möchtest du hier schlafen?« Sie nickte. »Ich bin so müde, ich war gerade auf dem Weg ins Bett. Können wir morgen weiterreden?« »Ich bin auch müde«, antwortete sie. »Aber können wir nicht jetzt noch ein bisschen reden, bevor wir ins Bett gehen?«
»Worüber sollten wir denn reden?« Ich ahnte, dass etwas Unbehagliches auf mich zukäme, und ich war wirklich sehr müde. »Dann brauche ich erst mal einen Kaffee, glaube ich.«
»Du bist Schriftstellerin, oder?«, rief sie mir hinterher, während ich die Espressokanne füllte. »Woran schreibst du denn gerade so?«
»Woran ich schreibe ?« Ich ging zur Tür und betrachtete sie näher. »Du sollst hier keinen Plausch mit mir führen! Halland ist tot! Das weißt du schon, oder? Bist du nicht deswegen hier? Oder warum sonst?«
Sie begann zu weinen. Sogar das sah reizend aus, bemerkte ich und machte den Gasherd an. Meine Hände zitterten, weil ich geschrien hatte, und weil ich das Wort tot geschrien hatte, es war nur ein Wort, doch ich zitterte, denn er war ja wirklich tot. Und jetzt hatte ich ein Reh auf dem Sofa sitzen, was wollte es von mir? Ich fand ein Stück Knäckebrot und kaute darauf herum, während ich mich wieder ins Wohnzimmer setzte.
»Warum bist du hier? Weiß dein Mann, dass du hier bist?«
Sie sah erschrocken auf und trocknete sich die Augen. »Es gibt keinen Mann«, sie streichelte ihren Bauch. »Halland ist meine einzige Familie, ich war schockiert, als ich es las.«
»Er ist nicht deine Familie!«, sagte ich ein wenig zu laut.
»Nein, aber er hatte ja seine Sachen bei mir stehen …«
»Welche Sachen?«
»Ja, in dem Zimmer?«
Das Zimmer.
Du lügst, sagte es in meinem Kopf, ich verstehe es zwar nicht, aber du lügst, du lügst, du lügst. Doch die Worte verließen meinen Mund nicht. Stattdessen sagte ich gar nichts mehr.
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